Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

34 Die Organisation des Staates. 812 
wirkung der Bürgerschaft bei der Senatswahl im wesentlichen in der heute noch 
geltenden Form ein. 
Die Bestimmungen über die Wahl in den Senat sind in allen 3 Hansestädten 
recht kompliziert aus dem Bestreben heraus, bei diesem wichtigen Staatsgeschäft 
beiden höchsten Organen einen Einfluß auf das Resultat zu geben und äußere Ein- 
flüsse möglichst fernzuhalten. 
1. In Bremen (Brem. Verf. § 22; Ges. den Senat betr. v. 1. Jan. 1894 
(S. 18) § 1—18) hat binnen 14 Tagen nach eingetretener Erledigung einer Stelle 
die Neuwahl zu erfolgen; eine Verlängerung der Frist kann durch Gesetz bestimmt 
werden. Der Senat zeigt dex gleichzeitig, aber im besonderen Raum versammelten 
Bürgerschaft die Erledigung des Platzes formell an unter Hervorhebung, ob nach 
dem Gesetz ein Rechtsgelehrter, ein Kaufmann oder ob ohne Rücksicht auf den Stand 
zu wählen sei. Das Wahlverfahren zerfällt dann in drei Abschnitte. 
Im 1. Abschnittt teilt sich die Bürgerschaft durch das Los in 5, der Zahl 
nach möglichst gleiche Abteilungen. Jede Abteilung wählt mit geheimer Stimmabgabe 
3 Kandidaten für die erledigte Stelle und ferner aus ihrer Mitte einen Wahlmann. 
Die Zahl der von der Bürgerschaft nominierten Kandidaten kann also zwischen 3 
und 15 schwanken, je nachdem sich eine Uebereinstimmung auf bestimmte Personen 
ergeben hat oder nicht. Gleichzeitig wählt der Senat aus seiner Mitte 5 Wahlmänner. 
Im 2. Abschnitt treten die 10 Wahlmänner aus Senat und Bürgerschaft 
zusammen, um aus den von den Abteilungen der Bürgerschaft vorgeschlagenen Kan- 
didaten den definitiven Wahlaufsatz von 3 Kandidaten zu bilden. Auf diesen gelangt 
nur, wer wenigstens 6 Stimmen der Wahlmänner auf sich vereinigt. Da je 5 Wahl- 
männer aus Senat und Bürgerschaft beteiligt sind, können diese also, wenn sie einig 
sind, die Wahl eines der einen oder anderen Körperschaft nicht genehmen Kandidaten 
verhindern. Erhalten mehr als 3 die Mehrheit von 6 Stimmen, so wird die Ab- 
stimmung in bestimmter Form wiederholt, eventuell entscheidet das Los. Ergibt 
sich eine Mehrheit von 6 Stimmen für keinen Kandidaten oder nur für einen oder 
zwei, so wird das Verfahren von neuem begonnen: die Bürgerschaft teilt sich wieder 
durch das Los in 5 Abteilungen, die einen Wahlmann und einen oder 2 oder 
3 Kandidaten wählen, je nach der Zahl der noch Vorzuschlagenden; die Wahlmänner 
treten dann wiederum zusammen. Dieses Verfahren wird so lange wiederholt, bis. 
3 Kandidaten in Vorschlag gebracht sind. Da die Abteilungen der Bürgerschaft aus- 
gelost werden, ist die Möglichkeit einer andern Mehrheit immer gegeben. 
Im 3. Abschnitt wählt die Bürgerschaft in geheimer Abstimmung mit ab- 
soluter Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder einen der drei Vorgeschlagenen 
zum Mitgliede des Senats. 
Die feierliche Beeidigung und Einführung des Gewählten erfolgt in der Regel 
Bürgerschaft zu Wahlmännern; diese wählten 3 Kandidaten, aus denen wieder Senat und Bürger- 
schaft zusammen das neue Senatsmitglied wählten. Bei den späteren Verhandlungen suchte der 
Senat vergebens größeren Einfluß auf die Wahl zu erlangen (Verh. 1853, S. 299, 325, 419), 
5) Ein früherer Vorschlag des Rates — Sept. 1816 — wegen Beteiligung der Bürgerschaft 
an der Ratswahl nach dem Muster des Brem. Wahlstatuts v. 1816 war mit dem Verfassungs- 
werk liegen geblieben (oben S. 7). Den heutigen Bestimmungen in Lübeck diente der Brem. 
Verf.-Entwurf v. 1837 als Muster (Bericht der bürg. Verf.-Rev.-Kommission v. 1844, S. 11).
	        
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