817 Die Zusammensetzung der Bürgerschaft. 47
städtischen Bevölkerung des Stadtstaates, daß sie auch auf die Verwaltung wesent-
lichen Einfluß habe und daß Gegengewichte fehlten, wie in anderen Staaten mit
mehreren Kammern, daß endlich ihre vorwiegend kommerziellen Aufgaben eine ge-
sicherte Vertretung gerade der kaufmännischen Interessen erforderten ).
Das Wahlrecht zur Bürgerschaft ist daher kein allgemeines aller Staatsange-
hörigen und kein gleiches. Eine Schranke bildet zunächst das Bürgerrecht; nicht alle
Staatsangehörigen, sondern nur die Bürger sind wahlberechtigt (oben § 9). Unter
den Bürgern wird allerdings eine Gliederung in solche mit und ohne Wahlrecht ver-
mieden; grundsätzlich ist jeder Bürger wahlberechtigt vorbehältlich besonderer Aus-
nahmen 2). Aber das Wahlrecht der Bürger ist kein gleiches; die Bedeutung der-
Stimmen ist abgestuft durch Bildung von Wählerklassen: in Hamburg besteht neben.
den Sonderklassen der Grundeigentümer und Notabeln eine Einteilung der Wähler
nach Steuerklassen 2); ebenso sind in Lübeck die Wähler nach der Steuerleistung ein-
geteilt; in Bremen gilt ein wesentlich berufsständisches Wahlsystem.
2. In Bremen hatte zunächst die Verfassung von 1848 an die Stelle der-
alten Notabelnversammlung eine aus allgemeinen gleichen Wahlen aller Bürger her-
vorgehende Bürgerschaft von 300 Mitgliedern gesetzt. Die Verfassung von 1854 führte-
das heutige Wahlsystem ein, das auf einer Verbindung von berufsständischen mit
allgemeinen Wahlen beruht"). Mit den ersteren knüpfte es an an die Zustände vor
1848, unter denen auch die Kaufleute und Gewerbetreibenden ihre besondere Berech-
tigung auf den Bürgerkonventen hatten; mit der Aufnahme des allgemeinen Wahl-
rechts trug es den neuzeitlichen Forderungen Rechnung. In seinen Grundzügen
ist dieses System bis heute bestehen geblieben.
In Lübeck sah die Verfassung vom 8. April 1848 eine Bürgerschaft von
120 Mitgliedern vor, die aus Klassenwahlen der Gelehrten, Kaufleute, Krämer, Ge-
werbetreibenden und Landwirten hervorging. Dieses System war von kurzer Dauer,
die revidierte Verfassung vom 30. Dezember 1848 setzte das gleiche Wahlrecht
aller Bürger an die Stelle (oben S. 10 f.). Dieses erhielt sich bis zum Jahre 1902.
Den Anlaß zu einer Aenderung gab damals der Wunsch, den Erwerb des Bürger-
1) Diese im wesentlichen gleichen Gesichtspunkte kehren in den 3 Städten bei den wiederholten
Wahlrechtsverhandlungen wieder: so für Bremen schon Verf.-Entwurf v. 1837, S. 52 und Vorb.
S. 12 das.; für Hamburg: Verf.-Verh. 1848. 49 bei Seelig, Hamb. Bürgerschaft, S. 140, 148:
ähnlich auch bei der letzten Wahlrechtsänderung in Hamburg: Hamb. Verh. zwischen Senat und-
Bürgerschaft 1905, S. 275 f., 288. Für Lübeck: Bericht der gem. Kommission in Verh. 1902 D.
n. 24; 1904 D, n. 6.
2) Die Lüb. Wahlrechtsgesetzgebung v. 1902, durch die der Erwerb des Bürgerrechts frei-
gegeben, das Wahlrecht zur Bürgerschaft aber an einen Zensus geknüpft war, wurde allgemein
als Mißgriff erkannt und 1905 wieder beseitigt.
* 3) In Hamburg werden nach dem Wahlges. v. 5. März 1906 von den 160 Mitgliedern 40
von den Grundeigentümern in der Stadt, 40 von den sog. Notabeln und 80 durch allgemeine Wahlen
gewählt; von den letzteren 72 im Stadtgebiet und 8 im Landgebiet. Für diese allgemeinen Wahlen
im Stadtgebiet sind die Wähler in 2 Gruppen eingeteilt — die 1. umfaßt die Wähler mit über
2500 Mk. Jahreseinkommen, die 2. die übrigen Wähler; erstere wählen 48, letztere 24 Vertreter.
Ueber die Hamb. Wahlreform in 1906: Seelig im Jahrb. des öffentl. Rechts, Bd. II, S. 132 f.
4) Näheres oben S. 9 f. Daß ein Wahlrecht nach Berufsständen der hansestädtischen Ent-
wicklung entsprach, läßt sich daraus entnehmen, daß es auch in den beiden andern Städten ernstlich
erwogen ist. In Lübeck legte die Verf. v. 8. April 1848 es zugrunde, ohne indes die erforderliche
Ergänzung durch ein allgemeines Wahlrecht vorzunehmen. Die Vorschläge zu dieser Ergänzung
bei den weiteren Verhandlungen nähern sich dem späteren Brem. Wahlsystem (Bruns, Verf.=
Gesch., S. 14 f., 18 f.). Darüber, daß für Hamburg das berufsständische Wahlrecht das geschichtlich
Gegebene sei, Seelig, Die gesch. Entwicklung der Hamb. Bürgerschaft, S. 183 f.