8 20 Geschäftsformen der Bürgerschaft. 57
2. Als Mittel, auf die zeitgemäße Entwicklung des Staatswesens hinzuwirken,
hat die Bürgerschaft das Recht der Initiativez; sie kann Gesetze vorschlagen,
auf gemeinsame Beschlüsse antragen. Nach der Lüb. Verf. (Art. 44) gelangen solche
„Anregen“ zunächst an den Bürgerausschuß zur näheren Erwägung; hält dieser den
Antrag nicht für geeignet, an den Senat gebracht zu werden, oder lehnt der Senat
einen ihm vom Bürgerausschuß empfohlenen Antrag ab, so beschließt die Bürgerschaft
darüber, ob sie ihn direkt an den Senat gelangen lassen will 7).
3. Die Bürgerschaft hat die kollegialen Rechte der Parla-
mente,, ihre eigenen inneren Angelegenheiten selbständig zu ordnen. Sie kon-
stituiert sich durch Wahl ihres Geschäftsvorstandes und stellt ihre Geschäftsordnung
fest, die in Bremen dem Senat zur Geltendmachung des Einspruches gegen etwaige
verfassungs= oder gesetzwidrige Bestimmungen mitzuteilen ist (Brem. Verf. §5 55;
Lüb. Verf. Art. 48).
Die Bürgerschaft genießt den Schutz des § 106 StrG#B. gegen Vergewalti-
gung. Zur Verfolgung einer Beleidigung der Bürgerschaft ist ihre Ermächtigung
erforderlich (Stre B. § 197).
§ 20. Geschäftsformen der Bürgerschaft. Ueber die Organisation und den Ge-
schäftsgang der Bürgerschaft enthalten Verfassung und Gesetze die grundlegenden
Bestimmungen; innerhalb ihres Rahmens bestimmt die Bürgerschaft das Nähere
durch ihre Geschäftsordnung 2).
Die Formen sind im allgemeinen die parlamentarisch üblichen. Unterschiede
ergeben sich aus der grundsätzlich unabhängigen und dem Senat gleichgeord-
neten Stellung der Bürgerschaft (oben § 5 II). Die Bürgerschaft hat das Selbst-
versammlungsrecht; der Senat kann nicht durch Vertagung, Schließung
oder Auflösung in ihre Geschäfte eingreifen 2). Damit zusammenhängend ist die
Bürgerschaft ein permanentes Organ und nicht, wie z. B. der Reichstag,
nur periodisch tätig. Es gibt keine Legislatur= oder Sitzungsperioden der Bürger-
schaft. Auch nach der regelmäßigen teilweisen Erneuerung nehmen die Geschäfte
ohne weiteres ihren Fortgang. Die verwaltenden Aufgaben der Bürgerschaft vor
allem in Bremen lassen eine Unterbrechung ihrer Tätigkeit nicht zu. In Lübeck
geben ferner zwei Momente der Tätigkeit der Bürgerschaft ein besonderes.
Gepräge: die Stellung des Bürgerausschusses, in dem alle Vorlagen des Senats
von dem vierten Teil der Bürgerschaft schon einer Vorberatung unterzogen werden,
1) „Anregen“ zu solchen Initiativverträgen kann jedes Bürgerschaftsmitglied machen; doch
bedürfen sie der Unterstützung von 10 Mitgliedern (Lüb. Verf. Art. 44). Ueber die Initiative des
Bürgerausschusses: Lüb. Verf. Art. 71. — In Bremen kann trotz des Schweigens der Verfassung
kein Zweifel an dem Bestehen des von der Bürgerschaft auch stets geübten Rechtes der Initiative
Ein auch der alte Bürgerkonvent hatte es (Brem. Verf.-Entw. v. 1814, & 158; Entw. v. 1837,
2) Die Bestimmungen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen werden muß, finden sich:
Für Bremen: Verf. Fl45 f., Ges. die Bürg. betr. § 16 f. und Gesch. O. der Bürg. Für Lübeck:
Verf. Art. 45 f., Gesch. O. der Bürg. v. 19. Juli 1875 mit Nachträgen v. 28. Sept. 1896, 30. Juni
1902 und 5. Mai 1913. Für Hamburg: Gesch. O. der Bürg. v. 23. März 1881 (Wulff, Hamb.
Gesetze I, S. 55).
3) Ueber die Anberaumung der Sitzungen unten Z. 2. In Hamburg erfolgt die erste Einbe-
rufung der Bürg. nach der halbschichtigen Erneuerung durch den Senat (Verf. Art. 41); sonst
beraumt auch dort der Geschäftsvorstand der Bürg. die Sitzungen an. Ueber das — streitige —
Lelbstversammlungerecht der Bürgerschaft in Hamburg: Wulff, Hamb. Gesetze 2, Bd. I, S. 10,
nm. 5.