64 Die Organisation des Staates. *21
b) In anderen Sachen entscheidet der Bürgerausschuß endgültig an Stelle der
Bürgerschaft; er „,übt die der Bürgerschaft zustehenden Be-
fugnisse aus“ (Lüb. Verf. Art. 69):
#cbei Geldbewilligungen, die im einzelnen Falle 1) — oder bei mehrfachen An-
trägen für den gleichen Zweck in demselben Kalenderjahr in ihrer Gesamtheit —
6000 Mk. einmalige Ausgabe oder 300 Mk. jährliche Ausgabe nicht überschreiten,
sofern nicht die Bewilligung der Entscheidung einer anderen Frage vorgreift, über
welche die Bürgerschaft zu befinden hat;
8. bei Verwendung der im Staatsbudget bereits ausgesetzten Summen, so-
weit nicht, wie in der Regel der Fall, die Behörden dazu ohne weiteres berechtigt
sind;
J. bei Erwerb oder Veräußerung von Grundstücken für den Staat, die evange-
lisch-lutherischen Kirchengemeinden, die öffentlichen Wohltätigkeitsanstalten oder
Privatstiftungen, sofern dadurch nicht „Hoheitsrechte“ berührt werden und der Wert
des Grundstücks 12 000 Mk. nicht übersteigt;
S. bei Aenderung in der Verwaltung oder Benutzung des Eigentumes des Staates
oder der unter F genannten Gemeinden usw., wenn ein Wert von nicht mehr als
12 000 Mk. in Frage steht;
c. bei Verfügungen über Denkmäler der Kunst oder des Altertums.
Lehnt der Bürgerausschuß in diesen Fällen einen Antrag ab, so kann der Senat
ihn trotzdem an die Bürgerschaft bringen, die Zuständigkeit der Bürgerschaft ist also
auf diesem Kompetenzgebiet des Bürgerausschusses eine subsidiäre 2).
c) Einen wichtigen Einfluß auf die Verwaltung hat der Bürgerausschuß als
Wahlorgan. Er wählt die Mitglieder der Geheimkommissionen und die bürger-
lichen Mitglieder gemeinsamer Kommissionen von Senat und Bürgerschaft, vor
allem wählt er ferner die bürgerlichen Deputierten für diejenigen Verwaltungs-
behörden, für die der Bürgerschaft oder dem Bürgerausschuß ein Ernennungsrecht
eingeräumt ist und schlägt bei den übrigen gemischten Behörden dem Senat
2 Bürger zur Auswahl vor (Lüb. Verf. Art. 72; unten § 28 I, 2).
Endlich sind dem Bürgerausschuß noch zahlreiche einzelne Aufgaben übertra-
gen; so entscheidet er bei den Bürgerschaftswahlen — ebenso bei den Wahlen zum
Reichstag — über Einsprachen gegen die Wählerlisten :); er beschließt über die Be-
freiung der Bürger von der Pflicht zur Uebernahme öffentlicher Stellungen (oben
S. 27), er wirkt mit bei Verleihung eines höheren Besoldungs= oder Pensionsdienst-
alters an Beamte (unten S. 96, 98) u. a.
3. Sein Verfahren. Die eingehenden Vorschriften der Verfassung über
Organisation und Geschäftsgang des Bürgerausschusses entsprechen im allge-
1) Als „einzelner Fall“ ist die Bewilligung einer Ausgabe über mehrere Jahre, die im ganzen
6000 Mk. nicht übersteigt, nicht anzusehen. Brückner, Lüb. Staats- und Verw.-R., S. 45.
2) Lüb. Verf. Art. 69, Abs. 2. In Hamburg hat der Bürgerausschuß in ähnlichen Angelegen-
heiten von geringerer Bedeutung eine konkurrierende Zuständigkeit mit der Bürgerschaft, d. h.
es steht dem Senat frei, an welches der beiden Organe er die Sache bringen will (Hamb. Verf.
Art. 60). Perels a. a. O., S. 12f.
3) Lüb. Ges. v. 9. Aug. 1905 § 3. Reglement für die Reichstagswahlen v. 28. Mai 1870
(Gl. des N. B., S. 275) und Bek. v. 24. Jan. 1872 (Röl. S. 38).