Full text: Psychologie der Massen.

Anschauungen und Überzeugungen der Massen. 93 
solchen Titel anzunehmen, um einen Kaufmann beliebig zu 
begaunern!). 
Das Prestige, von dem ich eben sprach, ist das von Per- 
sonen ausgeübte. Man kann ihm das Prestige zur Seite stellen, 
welches Anschauungen, literarische oder Kunstwerke usw. aus- 
üben. Es beruht nur auf akkumulierter Wiederholung. Da die 
Geschichte, besonders die Literatur- und Kunstgeschichte, nur 
die Wiederholung derselben Urteile ist, die niemand zu kon- 
trollieren versucht, so wiederholt schlgeßlich jeder das in der 
Schule Gelernte, und es gibt Namen und Dinge, an die niemand 
zu rühren wagt. Für einen modernen Leser sind die Homeri- 
schen Epen unleugbar sehr langweilig, wer traut sich aber, 
dies zuzugestehen? Das Parthenon ist in seinem gegenwärtigen 
Zustande eine uninteressante Ruine, aber es besitzt ein solches 
Prestige, daß man es nur mit seinem ganzen Umkreise histori- 
scher Erinnerungen ansieht. Es ist die Eigentümlichkeit des 
Prestige, daB es verhindert, die Dinge so zu sehen, wie sie 
  
1) Man findet diesen Einfluß der Titel, Ordensbänder, Uniformen 
auf die Massen in allen Ländern, selbst dort, wo das Gefühl persön- 
licher Unabhängigkeit die stärkste Entfaltung zeigt. Um dies zu be- 
leuchten, zitiere ich hier eine interessante Stelle aus dem neuen Buche 
eines Reisenden, welche von dem Prestige gewisser Persönlichkeiten in 
England handelt: 
„Bei verschiedenen Begegnungen hatte ich noch nicht den beson- 
deren Rausch bemerkt, in den die vernünftigsten Engländer durch den 
Anblick eines englischen Pairs versetzt werden.“ 
„Vorausgesetzt, daß der von ihm gemachte Aufwand seinem 
Range entspricht, lieben sie ihn von vornherein und ertragen von ihm, 
wenn er anwesend ist, alles mit Entzücken. Man sieht sie bei seiner 
Annäherung vor Vergnügen erröten, und wenn er mit ihnen spricht, so 
erhöht die Freude, die sie empfinden, diese Röte und verleiht ihren 
Augen einen ungewöhnlichen Glanz. Sie haben, könnte man sagen, den 
Lord im Blute, wie der Spanier den Tanz, der Deutsche die Musik und 
der Franzose die Revolution. Ihre Leidenschaft für die Pferde und für 
Shakespeare ist weniger heftig, die Befriedigung und der Stolz darüber 
weniger tief. Das Pairsbuch hat einen großen Absatz, und man findet 
es, wie die Bibel, in den Händen aller.“
	        
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