100 Zweites Buch.
wand mit violetten Schatten bedecken, sehen in der Natur um
nichts mehr violett, als man es vor 50 Jahren sah, sie sind aber
durch persönlichen, besonderen Eindruck eines Malers sugge-
stioniert, der trotz dieser Schrulle ein großes Prestige zu er-
langen wußte. Auf allen Kulturgebieten lassen sich derartige
Beispiele leicht anführen.
Aus dem Vorstehenden ist zu ersehen, daß an der Ent-
stehung des Prestige zahlreiche Faktoren beteiligt sein können.
Einer der bedeutendsten von ihnen war allezeit der Eriolg.
Jeder Mensch, der Erfolg hat, jede Idee, die zur Geltung
kommt, wird schon dadurch anerkannt. Der Beweis, daß der
Erfolg eine der wesentlichsten Grundlagen des Prestige ist,
wird dadurch geliefert, daß das letztere fast stets mit dem
ersteren schwindet. Der von der Masse am Vorabend um-
jubelte Held wird, wenn er Unglück gehabt hat, am andern
Morgen von ihr verhöhnt. Je größer das Prestige war, desto
lebhafter die Reaktion. Die Masse betrachtet dann den ge-
fallenen Helden als ihresgleichen und rächt sich dafür, daß
sie sich vor der ihm nun nicht mehr zuerkannten Überlegenheit
grebeugt hat. Als Robespierre seinen Kollegen und einer großen
Zahl seiner Zeitgenossen den Kopf abschneiden ließ, besaß er
ein riesiges Prestige. Als aber eine Verschiebung weniger
Stimmen ıhn seiner Macht beraubte, verlor er dieses Prestige
sogleich, und die Masse folgte ihm zur Guillotine mit ebenso
vielen Verwünschungen als den Tag vorher seinen Opfern.
Stets zertrümmern die Gläubigen die Statuen ihrer ehemaligen
Götter voller Wut.
Das durch Mißerfolg geschwundene Prestige ist jäh dahin.
Es kann sich auch, aber langsamer, durch Bestreitung abnützen,
und das sicher. Das bestrittene Prestige ist kein Prestige mehr.
Die Götter und Menschen, die ihr Prestige lang zu bewahren
wußten, haben eine Erörterung nie geduldet. Wer von den
Massen bewundert sein will, muß sie stets in Distanz halten.