Full text: Psychologie der Massen.

Klassifikation und Einteilung der Massen. 137 
Über allgemeine Fragen aber, wie Sturz eines Ministeriums, 
Auflage einer Steuer usw., besteht keinerlei Meinungsfestigkeit, 
und hier können die Suggestionen der Führer zur Geltung 
kommen, aber nicht ganz so wie bei einer gewöhnlichen Masse. 
Jede Partei hat ihre Führer, die oft gleichen Einfluß besitzen. 
Die Folge davon ist, daß der Abgeordnete sich zwischen gegen- 
sätzlichen Suggestionen befindet und unvermeidlich sehr zögernd 
wird. Daher sieht man ihn oft nach Verlauf einer Viertelstunde 
in entgegengesetzter Weise abstimmen und einem Gesetze 
einen es zunichtemachenden Zusatz hinzufügen, z. B. den Indu- 
striellen das Recht der Auswahl und Entlassung ihrer Arbeiter 
nehmen und dann diese Maßnahmen durch ein Amendement so 
ziemlich annullieren. 
Aus diesem Grunde hat eine Kammer in jeder Legislatur- 
periode neben sehr festen auch sehr unbestimmte Anschau- 
ungen. Da im Grunde die allgemeinen Fragen am zahlreichsten 
sind, so herrscht die Unentschiedenheit vor, durch die ständige 
Furcht vor dem Wähler genährt, dessen latente Suggestion 
stets dem Einfluß der Führer das Gegengewicht zu halten 
geeignet ist. 
Und doch sind zuletzt die Führer die eigentlichen Herren 
in den zählreichen Versammlungen, wo die Versammlungs- 
mitglieder keine entschiedenen Ansichten im voraus besitzen. 
Die Notwendigkeit dieser Führer liegt auf der Hand, denn 
man findet sie unter dem Namen von Parteihäuptern in den 
Versammlungen aller Länder. Sie sind die wahren Gebieter 
der Versammlung. Ohne einen Herren könnten die zu Massen 
vereinigten Menschen nicht sein. Und so repräsentieren die 
Stimmen einer Versammlung im allgemeinen nur die Anschau- 
ungen einer kleinen Minderheit. 
Die Führer wirken sehr wenig durch ihre Ausführungen, 
viel aber durch ihr Prestige. Den besten Beweis dafür liefert 
der Umstand, daß sie nach Verlust dieses Prestige keinen Ein- 
fluß mehr haben. 
Dieses Führerprestige ist individuell und hat nichts mit
	        
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