Die Ära der Massen. 5
bewußten und rohen Massen, welche recht gut als Barbaren
gekennzeichnet werden, bewerkstelligt wird. Bisher wurden
die Zivilisationen stets nur von einer kleinen intellektuellen
Aristokratie geschaffen und geleitet, niemals von den Massen.
Die Massen haben nur Kraft zur Zerstörung. Ihre Herrschaft
bedeutet stets eine Phase der Barbarei. Eine Zivilisation setzt
feste Regeln, eine Disziplin, den Übergang des Instinktiven
zum Vernunftmäßigen, die Voraussicht der Zukunft, einen hohen
Kulturgrad voraus — Bedingungen, welchen die sich selbst
überlassenen Massen niemals zu entsprechen vermochten. Ver-
möge ihrer bloß zerstörerischen Macht wirken sie gleich jenen
Mikroben, welche die Auflösung der geschwächten Körper
oder der Leichen zu Ende führen. Ist das Gebäude einer
Zivilisation morsch geworden, so sind es stets die Massen,
welche dessen Zusammensturz herbeiführen. Jetzt tritt ihre
Hauptfunktion zutage, und die Philosophie der Menge erscheint
für einen Augenblick als die einzige Philosophie der Geschichte.
Wird es mit unserer Zivilisation sich ebenso verhalten?
Wir können es befürchten, aber noch nicht wissen.
Wie immer es sein mag, wir müssen uns bescheiden,
die Herrschaft der Massen zu ertragen, da der Voraussicht
bare Elemente allmählich alle Schranken, die jene zurück-
halten konnten, umgestürzt haben.
Wir kennen diese Massen, von denen man jetzt so viel
spricht, sehr wenig. Die Psychologen von Fach, welche ent-
fernt von ihnen leben, haben sie stets ignoriert und sich mit
ihnen dann nur in bezug auf die Verbrechen, zu denen sie
fähig sind, beschäftigt. Zweifellos gibt es kriminelle, aber auch
tugendhafte, heroische und andere Massen. Die Massenver-
brechen bilden nur einen Sonderfall ihrer Psychologie, und
wenn man bloß die Verbrechen der Massen studiert, so kennt
man deren geistige Beschaffenheit nicht besser als jene eines
Individuums, dessen Laster man bloß studiert.
Seien wir aber gerecht: alle Herren der Erde, alle Reli-
gions- und Reichsstifter, die Apostel aller Glaubensrichtungen,