Full text: Psychologie der Massen.

Die Massenseele. 31 
das isolierte Individuum unmöglich sind. In der Masse fehlt 
den Dummen, Ungebildeten und Neidischen das Gefühl ihrer 
Nichtigkeit und Ohnmacht; an dessen Stelle tritt das Be- 
wußtsein einer brutalen, zwar vorübergehenden, aber unge- 
heuren Kraft. 
Unglücklicherweise bezieht sich bei den Massen die Über- 
treibung oft auf schlechte Gefühle, atavistische Rückstände 
der Instinkte des Urmenschen, die durch die Furcht vor 
Strafe beim isolierten und verantwortlichen Individuum gezügelt 
werden. Daher sind die Massen so leicht zu argen Ausschrei- 
tungen zu verleiten. 
Nicht, als ob die Massen, wenn sie geschickt suggestio- 
niert würden, des Heroismus, der Ergebenheit und sehr hoher 
Tugenden unfähig wären; sie sind es sogar in höherem Maße 
als das isolierte Individuum. Wir werden bald Gelegenheit 
haben, beim Studium der Massenmoral auf diesen Punkt zurück- 
zukommen. 
In ihrem Fühlen überschwenglich, wird die Masse nur 
durch übermäßige Empfindungen erregt. Der Redner, der sie 
hinreißen will, darf mit starken Ausdrücken Mißbrauch treiben. 
Übertreiben, bekräftigen, wiederholen und niemals einen lo- 
gischen Beweis versuchen, sind die den Rednern in Volks- 
versammlungen wohlbekannten Argumentationsweisen. 
Die gleiche Übertreibung verlangt die Masse von ihren 
Helden. Die Eigenschaften und Tugenden dieser müssen stets 
vergrößert werden. Es ist treffend bemerkt worden, daß die 
Masse ım Theater von dem Helden des Dramas einen Mut, 
eine Sittlichkeit und eine Tugend verlangt, wie sie im Leben 
niemals vorkommen. 
Treffend hat man von der besonderen Optik des Theaters 
gesprochen. Sie existiert zweifellos, aber ihre Gesetze haben 
nichts mit dem richtigen Urteil und der Logik zu tun. Die 
Kunst, zur Masse zu sprechen, ist gewiß untergeordneter Art, 
erfordert jedoch ganz besondere Fähigkeiten. Bei der Lektüre 
gewisser Stücke kann man sich oft den Erfolg derselben. nicht
	        
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