Full text: Psychologie der Massen.

Die Massenseele. s1 
und deshalb ist ihm die wirkliche Entstehung der Ereignisse 
recht oft entgangen. Er hat die Tatsachen vorzüglich beob- 
achtet, aber aus Mangel an einer Massenpsychologie nicht 
immer die Ursachen jener erfaßt. Da die Tatsachen ihn durch 
ihre blutige, anarchische und wilde Seite erschreckten, so sah 
er in den Helden der großen Epoche nur eine Horde epilep- 
tischer Wilder, die sich ihren Trieben zügellos hingaben. Die 
Gewalttaten der Revolution, ihre Metzeleien, ihr Bedürfnis 
nach Propaganda, ihre Kriegserklärung an alle Könige er- 
klären sich nur, wenn man bedenkt, daß sie nichts als die 
Befestigung eines neuen religiösen Glaubens in der Massen- 
seele waren. Die Reformation, die Bartholomäusnacht, die Re- 
ligionskriege, die Inquisition, die Schreckenstage sind Erschei- 
nungen derselben Art, hervorgerufen durch Massen, welche 
von jenen religiösen Gefühlen belebt waren, die notwendig 
dazu führen, schonungslos mit Feuer und Schwert alles aus- 
zurotten, was sich der Herrschaft des neuen Glaubens ent- 
gegenstell.e Das Verfahren der Inquisition ist dasjenige aller 
wahrhaft Überzeugten; sie wären keine Gläubigen, wenn sie 
anders verführen. 
Umwälzungen gleich jenen, die ich erwähnte, sind nur 
möglich, wenn die Massenseele sie ins Leben ruft. Die ab- 
solutesten Despoten könnten sie nicht entfesseln. Wenn die 
Historiker uns erzählen, die Bartholomäusnacht sei das Werk 
eines Königs gewesen, so bekunden sie, daB sie die Psycho- 
logie der Massen ebensowenig wie die der Könige ver- 
stehen. Solche Manifestationen können nur der Massenseele 
entspringen. Die absoluteste Macht des despotischsten Mon- 
archen reicht nicht weiter als zu einer geringen Beschleu- 
nigung oder Verzögerung des Moments. Nicht die Könige 
haben die Bartholomäusnacht, die Religionskriege verursacht, 
und nicht Robespierre, Danton oder Saint-Just waren die Ur- 
heber der Schreckenstage. Hinter solchen Ereignissen findet 
sich stets die Massenseele, niemals die Macht der Könige. 
  
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