Full text: Psychologie der Massen.

98 Zweites Buch. 
und Historiker haben vergeblich versucht, die Sinnlosigkeit 
dieser Lehre zu beweisen. Immerhin ist es ihnen unschwer 
gelungen, zu zeigen, daß die Institutionen Töchter der Ideen, 
Gefühle und Sitten sind und daß diese Ideen, Gefühle und 
Sitten nicht dadurch umgestaltet werden, daß man die Gesetze 
umgestaltet. Ein Volk wählt seine Institutionen nicht beliebig, 
ebensowenig wie es die Farbe seiner Augen oder seiner Haare 
wählt. Institutionen und Regierungsweisen sind ein Rassen- 
produkt. Weit entfernt, die Schöpfer einer Epoche zu sein, 
sind sie deren Geschöpfe. Die Völker werden nicht nach ihren 
momentanen Launen, sondern gemäß ihrem Charakter regiert. 
Jahrhunderte erfordert die Bildung einer Staatsordnung und 
Jahrhunderte deren Wandel. Die Institutionen haben keinen 
unmittelbaren Wert, sie sind an sich weder gut noch schlecht. 
Jene, welche für ein bestimmtes Volk zu einer bestimmten Zeit 
gut sind, können für ein anderes verabscheuenswert sein. 
Es liegt also ganz und gar nicht in der Macht eines Volkes, 
seine Institutionen wirklich zu ändern. Gewiß kann es auf 
Kosten gewaltsamer Revolutionen den Namen seiner Institu- 
tionen ändern, aber der Kern bleibt derselbe. Die Namen sind 
nur leere Etiketten, um die sich ein etwas gründlicherer Histo- 
riker nicht zu kümmern hat. So ist z. B. das demokratischste 
Land der Welt England!), das doch eine monarchische Ver- 
fassung hat, während der härteste Despotismus in den süd- 
amerikanischen Republiken trotz ihrer republikanischen Ver- 
fassung herrscht. Nicht die Regierung, sondern der Charakter 
der Völker bestimmt deren Schicksale. Diese Ansicht habe ich 
in einer meiner früheren Schriften, auf bestimmte Beispiele mich 
stützend, zu erhärten gesucht. 
  
t) Dies erkennen, selbst in den Vereinigten Staaten, die ent- 
schiedensten Republikaner. So schreibt die amerikanische Zeitung 
„Forum“ nach dem Wortlaut, den ich der „Review of Reviews‘ vom 
Dezember 1894 entnehme: „Selbst die glühendsten Feinde der Aristo- 
kratie dürfen nie vergessen, daß heute England das demokratischste 
Land der Erde ist, wo die Rechte der Individuen am meisten geachtet 
werden und wo die fndividuen die meiste Freiheit besitzen.‘
	        
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