Full text: Psychologie der Massen.

60 Zweites Buch. 
heit war, genötigt war, nicht allein diese Zentralisation zu 
respektieren, sondern sie sogar zu übertreiben, so können wir 
sagen, sie ist das Produkt gebieterischer Notwendigkeiten, und 
können nur den Mangel an Scharfblick bei den Politikern, 
welche von ihrer Aufhebung reden, beklagen. Gelänge ihnen 
dieselbe zufällig, so würde die Stunde des Gelingens sofort das 
Signal zu einem schrecklichen Bürgerkriege!) geben, der übri- 
gens sehr schnell eine neue, noch viel drückendere Zentrali- 
sation herbeiführen würde. 
Aus dem Vorstehenden ist zu folgern, daß das Mittel zur 
nachhaltigen Beeinflussung der Massenseele nicht in den In- 
stitutionen liegt. Wenn wir gewisse Länder, wie die Ver- 
einigten Staaten, bei demokratischen Institutionen einen hohen 
Grad des Gedeihens erreichen sehen, während andere, wie die 
‚spanisch-amerikanischen Republiken, trotz absolut ähnlicher In- 
stitutionen in der traurigsten Anarchie leben, so müssen wir 
sagen, diese Institutionen haben mit der Größe der einen ebenso- 
wenig wie mit dem Niedergang der anderen etwas zu tun. Was 
die Völker beherrscht, ist ihr Charakter, und alle Institutionen, 
die sich diesem Charakter nicht innig anschmiegen, stellen nur 
ein ausgeliehenes Kleid, eine vorübergehende Verkleidung dar. 
Gewiß hat es blutige Kriege und gewaltige Revolutionen ge- 
geben, und es wird ihrer geben, um Institutionen einzuführen, 
ı) Wenn man die tieigehenden religiösen und politischen Un- 
einigkeiten, welche die verschiedenen. Gebiete Frankreichs trennen und 
die vor allem eine Rassenfrage sind, mit den separatistischen Tendenzen 
vergleicht, die in der Revolutionszeit auftraten und von neuem gegen das 
Ende des deutsch-französischen Krieges sich zeigten, so sieht man, daß 
die verschiedenen Rassen, die auf unserem Boden leben, noch weit von 
ihrer Verschmelzung miteinander entfernt sind. Die energische Zen- 
tralisation durch die Revolution und die Schöpfung künstlicher Departe- 
ments, deren Zweck die Vermischung der alten Provinzen war, war 
gewiß ihr nützlichstes Werk. Könnte die Dezentralisation, von welcher 
heute die kurzsichtigen Geister so viel sprechen, bewerkstelligt werden, 
sie würde zu den blutigsten Kämpfen führen. Um dies zu verkennen, 
muß man unsere Geschichte völlig vergessen.
	        
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