Anschauungen und Überzeugungen der Massen. 61
denen man wie den Reliquien der Heiligen die übernatürliche
Macht zuschreibt, Glück zu stiften. In gewissem Sinne könnte
man also sagen, die Institutionen wirken auf die Massenseele,
da sie solche Erhebungen veranlassen. In Wahrheit aber sind
es nicht die Institutionen, die so wirken, denn wir wissen, dab
sie, sieghaft oder besiegt, an sich keinerlei Kraft besitzen. Was
auf die Massenseele wirkte, waren Illusionen und Worte; beson-
ders aber Worte, jene leeren und dabei machtvollen Worte,
deren wunderbare Herrschaft wir bald dartun werden.
S 5. Erziehung und Unterricht.
Unter den herrschenden Ideen einer Epoche, deren kleine
Zahl und — trotzdem sie oft pure Illusionen sind — große
Kraft wir hervorgehoben haben, nimmt heute den ersten Rang
die Anschauung ein, daB der Unterricht die Menschen erheb-
lich zu verändern vermag und deren Verbesserung und sogar
Gleichmachung zum sicheren Ergebnis hat. Bloß durch seine
Wiederholung ist dieser Satz schließlich eines der unerschütter-
lichsten Dogmen der Demokratie geworden, und es ist ebenso
schwer, es anzutasten, als es sich einst mit ‘den kirchlichen
Dogmen verhielt.
In diesem 'wie in vielen anderen Punkten aber hat sich ein
großer Zwiespalt zwischen den demokratischen Ideen und den
Tatsachen der Psychologie und der Erfahrung herausgestellt.
Mehrere hervorragende Philosophen, unter anderen auch Her-
bert Spencer, konnten leicht dartun, daß der Mensch durch
deri Unterricht weder sittlicher noch glücklicher wird, daß
durch ihn seine Instinkte und Grundtriebe nicht abgeändert
werden, daß der Unterricht oft, wenn schlecht geleitet, mehr
Schaden als Nutzen bringt. Die Statistiker bestätigten diese
Ansicht, indem sie zeigten, daß die Kriminalität mit der Ver-
breitung des Unterrichts oder wenigstens einer gewissen Art
des Unterrichts zunimmt, daß die schlimmsten Feinde der Ge-
sellschaft, die Anarchisten, sich oft aus den Laureaten der Schule
rekrutieren. In einer neuen Arbeit hat ein hervorragender Be-