Anschauungen und Überzeugungen der Massen. 79
Ideenassoziationen begreifen. Daher wenden sich denn auch
die Redner, die auf sie Eindruck zu machen verstehen, stets
an ihr Gefühl, niemals an ihre Vernunft.., Die Gesetze der
Logik haben keinen Einfluß auf sie!). Um die Massen zu
überzeugen, muß man sich zunächst volle Rechenschaft betreffs
der Gefühle, die sie beseelen, geben; man muß sich den An-
schein geben, daß man sie teilt, sodann sie zu modifizieren
suchen, indem man in ihnen mittels rudimentärer Ässoziationen
gewisse recht suggestive Bilder hervorruft; ferner muß man
im Bedarisfalle seine Bemühungen wiederholen und vor allem
die Gefühle, die man erweckt, erraten. Diese Notwendigkeit,
je nach der Wirkung in dem Augenblick, in dem man spricht,
seine Sprache beständig zu ändern, macht jede einstudierte und
vorbereitete Rede von vornherein bedeutungslos; denn dann
folgt der Redner seinen eigenen, nicht den Gedanken seiner
1) Meine ersten Beobachtungen über die Kunst der Massenbeein-
flussung und die schwachen Hilfsmittel, die von der Logik in dieser
Beziehung geboten werden, gehen auf die Zeit der Pariser Belagerung
zurück, zu dem Tage, an dem ich nach dem Louvre, dem damaligen
Sitze der Regierung, den Marschall V bringen sah, den eine
wütende Volksmenge angeblich dabei ertappt hatte, wie er den Festungs-
plan entwendete, um ihn den Preußen zu verkaufen. Ein Regierungs-
mitglied, G. P. .„ ein sehr berühmter Redner, ging hinaus, um die
Masse, welche die unverzügliche Hinrichtung des Gefangenen verlangte,
anzureden. Ich erwartete, der Redner werde die Unsinnigkeit der Be-
schuldigung dartun, indem er sagen werde, der angeklagte Marschall sei
einer der Konstrukteure der Festungen, deren Plan übrigens in allen
Buchhandlungen zu haben war. Zu meiner großen Verblüffung — ich
war damals recht jung — lautete die Rede ganz anders. Der Redner
sagte nämlich, indem er sich dem Gefangenen näherte: „Dem Rechte
wird in unerbittlicher Weise Genüge geschehen. Lasset die Regierung
der nationalen Verteidigung eure Sache durchführen; einstweilen wer-
den wir den Angeklagten einsperren.‘“ Durch diese augenscheinliche
Genugtuung sogleich besänftigt, zerstreute sich die Menge, und der
Marschall konnte nach Verlauf einer Viertelstunde seine Wohnung auf-
suchen. Sicherlich wäre er niedergemacht worden, wenn der Redner der
wütenden Menge die logischen Argumente vorgehalten hätte, die meine
große Jugend sehr überzeugend fand.