Full text: Psychologie der Massen.

82 Zweites Buch. 
wirken vermögen. Wir haben nun zu untersuchen, wie diese 
Antriebe anzuwenden und durch wen sie mit Nutzen in Tätig- 
keit zu setzen sind. 
8 ji. Die Führer der Massen. 
Sobald lebende Wesen in einer gewissen Anzahl vereinigt 
sind, einerlei ob eine Herde Tiere oder eine Menschenmenge, 
stellen sie sich instinktiv unter die Autorität eines Oberhauptes. 
In den menschlichen Massen ist das wirkliche Oberhaupt 
oft nur ein Führer, der aber als solcher eine beträchtliche 
Rolle spielt. Sein Wille ist der Kern, um den sich die An- 
schauungen bilden und identifizieren. Er bildet das erste Orga- 
nisationselement heterogener Massen und bereitet ihre sekten- 
mäßige Organisation vor. Einstweilen leitet er sie. Die Masse 
ist eine folgsame Herde, die nie ohne Herrn zu leben vermag. 
Sehr oft war der Führer zuerst ein Geführter. Er selbst 
war von der Idee, deren Apostel er später wurde, hypnotisiert 
worden. Sie hat ihn so sehr erfüllt, daß neben ihr alles ver- 
schwand und daß ihm nun jede gegensätzliche Anschauung als 
Irrtum und Aberglaube erscheint. So verhält es sich z. B. mit 
Robespierre, der, von den philosophischen Ideen Rousseaus 
hypnotisiert, sich zu ihrer Verbreitung der Mittel der Inquisition 
bediente. 
Meist sind die Führer nicht Denker, sondern Männer der 
Tat. Sie sind von geringem Scharfblick und können nicht anders 
sein, da der Scharfblick im allgemeinen zum Zweifel und zur 
Untätigkeit führt. Sie rekrutieren sich namentlich aus jenen 
Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten, die an der Grenze des 
Irrsinns sich befinden. So absurd auch die von ihnen ver- 
fochtene Idee oder das von ihnen verfolgte Ziel sein mag, 
gegen ihre Überzeugung wird alle Logik zunichte. Verachtung 
und Verfolgung stört sie nicht oder erregt sie nur noch mehr. 
Persönliches Interesse, Familie, alles wird geopfert. Sogar der 
Selbsterhaltungstrieb ist bei ihnen ausgeschaltet, so sehr, daß 
die einzige Belohnung, die sie oft anstreben, das Martyrium ist.
	        
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