84 Zweites Buch.
den Geistern bis herunter zum Arbeiter, der in einer rauchigen
Wirtsstube seine Genossen langsam fasziniert, indem er unauf-
hörlich einige von ihm nicht verstandene Formeln wiederkäut,
deren Anwendung nach ihm die Verwirklichung aller Träume
und Hoffnungen sicher herbeiführen soll.
In allen sozialen Schichten, den höchsten wie den niedrig-
sten, fällt der Mensch, sobald er nicht mehr isoliert ist, bald
dem Gesetz eines Führers anheim. Die meisten Menschen,
besonders die zur Volksmenge gehörigen, haben außer ihrem
Berufskreis von nichts eine klare und richtige Vorstellung. Sie
sind nicht imstande, sich selbst zu leiten; so dient ihnen der
Führer als Leiter. Er kann zur Not, aber nur unzureichend,
durch jene periodischen Druckschriften ersetzt werden, welche
für ihre Leser Meinungen fabrizieren und ihnen jene Phrasen
darbieten, welche alles Denken ersparen.
Die Autorität der Führer ist äußerst despotisch und ver-
dankt nur diesem Despotismus ihre Geltung. Es ist oft be-
merkt worden, wie leicht sie sich bei den unruhigsten Arbeiter-
schichten Gehorsam verschaffen, obzwar sie keinerlei Stütze
für ihre Autorität haben. Sie bestimmen die Zahl der Arbeits-
stunden, die Lohnhöhe, entscheiden über Streiks, lassen sie zu
bestimmten Stunden beginnen und beenden.
Heute haben die Führer die Tendenz, in zunehmendem
Maße die öffentlichen Gewalten zu ersetzen, um so mehr, als
diese sich bestreiten und schwächen lassen. Die Tyrannei dieser
neuen Herren bewirkt, daß die Massen ihnen viel leichter folgen
als irgend welcher Regierung. Verschwindet durch irgend einen
Unfall der Führer, ohne sogleich Ersatz zu finden, so wird
die Masse wieder eine zusammenhangs- und widerstandslose
Menge. Während eines Streiks der Pariser Omnibusangestellten
genügte die Verhaftung der zwei Anführer, die ihn leiteten, um
ihm sofort ein Ende zu bereiten. Nicht das Freiheits-, sondern
das Dienstbedürfnis ist es, was stets in der Massenseele herrscht.
Die Massen haben solchen Durst, zu gehorchen, daß sie sich
jedem, der sich zu ihrem Herrn ernennt, instinktiv unterordnen.