96 I. Abschnitt. Das Verkehrswesen im allgemeinen.
Urteils und des Entschlusses darf gerade im Verkehrswesen nicht unter-
drückt werden; denn das Leben stellt die Beamten sehr oft vor uner-
wartete Aufgaben. Ein Vergleich mit dem Heerwesen liegt hbier sehr
nahe. Nirgends wird der Mensch mehr zur Unterordneng unter einen
höheren Willen erzogen und muß er erzogen werden, und doch ist das
Streben jeder einsichtigen Heeresverwaltung gleichzeitig darauf gerichtet,
jeden einzelnen Mann zum selbständigen Handeln zu erziehen. Beides
ist nötig, und beides läht sich mit einander vereinigen. Im Verkehrs-
wesen darf es nicht anders sein, und es braucht auch nicht anders zu
sein. Die Erfahrung — und es muß hervorgehoben werden, die Er-
fahrung gerade in Deutschland, wo das preuhische Staatsbahnnetz über
das jedes anderen Landes weit binausgeht — bat gezeigt, daß jene
Gefahren trotz des festen Gefüges des Aufbaues und des Betriebs ver-
mieden werden können, wenn die Behörden richtig gegliedert werden.
die Vorbildung, Beschäftigung und Verantwortlichkeit der Beamten
zweckmäbßig geordnet und das rechte Pflichtbewuhtsein in allen Teilen
des großen Verwaltungskörpers lebendig ist. Mag auch im einzelnen
an dem deutschen Staatsbahnwesen rviel getadelt werden, 8so überzeugt
man sich doch beim Vergleiche mit anderen groben Eisenbahnverwaltungen
sehr bald, daß ein überaus grober Teil des Tadels in Unkenntnis der
wirklichen Verhältnisse seinen Grund hat. Daß im einzelnen bei einer
so gewaltigen Verwaltung Fehler und Irrtümer vorkommen können, ist
Selbstverständlich. Man darf darüber aber nicht die große und gute
Gesamtleistung vergessen.
Uberblickt man das bisher ausgeführte, so findet man, daß manche
der hergebrachten Anschauungen über Vorzüge und Schwächen des
öffentlichen Betriebs nicht haltbar sind, dalß aber andererseits der öffent-
liche Betrieb gewisse wichtige Vorzüge und auch gewisse Nachteile zu
entwickeln geeignet ist. Ob die Vorzüge oder die Schwächen mehr in die
Erscheinung treten, ob die Ubernahme des Verkehrswesens in die öffent-
liche Verwaltung deshalb anzustreben oder zu bekämpfen ist, das läht
Sich, wie gezeigt, nicht allgemein sagen. Die jeweiligen Verhältnisse
sind hier in letzter Linie entscheidend. Für ein gut verwaltetes Gemein-
wesen mit einem zuverlässigen und tüchtigen Beamtenstande ist aber
doch nach allem die öffentliche Verwaltung des Verkehrswesens als das
zweckmäbßigste anzuschen und durch die Erfahrung erwiesen.
Hat sich aber erst einmal die öffentliche Gewalt zu solchem Vor-
gehen enischlossen, dann soll sie nicht wieder einen Schritt rückwärts
tun und die Ausnutzung ihrer Verkehrsanlagen an Erwerbsgesellschaften
verpachten. Denn dadurch entsteht ein widerspruchsvoller Zustand, der
in der Regel noch mehr als das reine Genehmigungsverfahren zur
möglicht raschen Erzielung hoher Erträge treibt und die öffentliche
Gewalt gehässiger Beurteilung aussetzt. Nur unter ganz besonders ge-