250 III. Abschnitt. Der Eisenbahnverkehr.
strecke Marienfelde bis Zossen vorgenommen worden sind, wurden
Stundengeschwindigkeiten von über 200 km erzielt.
Zum Betrieb auf Vollbahnen würde der Gleichstrom niedriger
Spannung, wie er im städtischen Orts- und Nabbetriebe herrscht, zu
teuer sein. Der Drehstrom ist leistungsfähiger, ermöglicht aber nur bei
bestimmten Geschwindigkeiten einen hinreichend billigen Betrieb. Dagegen
hbat sich nach den neueren Erfahrungen der einphasige Wechselstrom
als verwendbar für große Betriebe erwiesen, wie u. a. in einer Denk-
schrift des preußischen Ministeriums der öffentlichen Arbeiten vom
Jahre 1909 festgestellt ist. Im übrigen haben vielfache praktische Ver-
suche stattgefunden, um die Verwendbarkeit des elektrischen Stromes
zum Vollbetrieb und die geeignetsten Wege dazu klarzustellen, so z. B.
zwischen Berlin und Grohblichterfelde-Ost seit 1900 und auf anderer
Grundlage seit 1903, auf der Strecke Blankenese—Altona—Hamburg—
Oblsdorf seit 1903, wo jetzt seit 1908 ein Vollbetrieb mit täglich mehr
als 100 elektrischen Zügen stattfindet, usw. Alle diese Versuche haben
günstige Ergebnisse gehabt.
Für den elektrischen Vollbahnbetrieb ist es nötig, eine Betriebsform
zu wählen, die sich dem Dampflokomotivenbetriebe ohne Schwierigkeit
anpassen und angliedern läßt. Dazu bedarf es elektrischer Lokomotiven
von einer Leistungsfähigkeit, die derjenigen der heutigen Dampf-
lokomotiven nahekommt. Das ist in den letzten Jahren gelungen, und
nunmehr ist es nach der obenerwähnten Denkschrift „für die Verwaltung
der preußisch-hessischen Staatsbahnen zu einer unabweisbaren Pflicht
geworden, die Einführung der elektrischen Zugförderung mit Nachdruck
zu betreiben“. Weder vom technischen noch vom wirtschaftlichen
Standpunkt aus besteht nach der Denkschrift ein Hindernis, „elektrische
Zugförderung auf den Linien der preufisch-hessischen Staatsbahnen
sogleich in ausgedehntem Mabße einzuführen"“. Nur der Umstand, dab
man noch nicht übersehen kann, wieweit der elektrische Vollbetrieb den
besonderen Bedürfnissen der Heeresverwaltung genügt, nötigt dazu, die
neue Betriebsart zunächst auf Strecken zu beschränken, die für die
Landesverteidigung keine ausschlaggebende Bedeutung baben. Als
erste elektrische Vollbahnstrecken sind in Aussicht genommen die Strecke
Magdeburg—Bitterfeld— Leipzig (117,84 km), Leipzig— Halle (36,13 km),
Lauban— Königszelt (129,2 km), zusammen 283,17 km, die durch ver-
schiedene Anschluhstrecken (Hirschberg—Grünthal, Hirschberg—Landes-
hut, Ruhbank—Liebau, Fellhammer—Halbstadt) auf 108,37 km erweitert
werden. Die Teilstrecke Dessau—Bitterfeld (25,56 km) ist bereits aus-
gebaut. Das Kraftwerk wird im Braunkohlengebiet, 5 km von Bitter-
feld, angelegt, um diesen Brennstoff verwerten zu können. Auch die
bayerische Staatsbahnverwaltung wird den elektrischen Vollbetrieb auf
mehreren Strecken (Salzburg — Bad Reichenhall— Berchtesgaden, Gar-