1. Kapitel. Die Aufgaben d. öffentl. Gewalt gegenüber den Eisenbahnen. 283
des Landes. Die Bahnen sind in 3 Netze geteilt, das Mittelländische,
das Adriatische und das Sizilische. Der Betrieb dieser Netze wurde
85 an drei Gesellschaften, welche die Betriebsmittel für 265 Mill. Frs.
übernommen baben, auf 60 Jahre verpachtet derart, daß sowohl der
Staat als auch die Gesellschaft nach Ablauf von je 20 Jahren den Ver-
trag kündigen konnten. Die Regierung hatte das Oberaufsichtsrecht
und konnte bei Feststellung der Tarife und Fahrpläne mitwirken. Nach
Ablauf der Pachtzeit sollte die Regierung die Betriebsmittel nach dem
alsdann vorhandenen Werte und die Verbindlichkeiten, Forderungsrechte
und das Vermögen der Gesellschaften übernehmen. Auch Holland bat
Seine Staatsbahnen, zu deren Bau es nach Erlahmen der Gesellschafts-
tätigkeit seit den 60 er Jahren übergehen mutte, nicht selbst betrieben
und 1890 das inzwischen beträchtlich erweiterte und die meisten nieder-
ländischen Linien umfassende Staatsbahnnetz verpachtet an die Gesell-
schaft zum Betriebe der Staatseisenbahnen. Diese Gesellschaft bat die
Hauptmasse der Staatsbahnen, die Holländische Eisenbahngesellschaft
die Gesellschaftsbahnen und die ihr zugewiesenen Staatsbahnstrecken in
der Hand. r“
Dieses Vorgehen hat bei rein lehrhafter Betrachtung manche Vor-
züge. In der Wirklichkeit überwiegen aber seine Nachteile. Der Gegen-
satz zwischen öffentlichem Bedürfnis und dem privaten Erwerbstriebe,
der durch das Staatsbahnwesen beseitigt werden soll, ist hier wieder zu
voller Wirksamkeit gelangt. Der Gesellschaft muß es naturgemäh auf
möglichst rasche Herauswirtschaftung großber Gewinne für die Aktionäre
ankommen. Dabei kann die Sorge für Erhaltung und Ergänzung der
Linien und Betriebsmittel und die Rücksicht auf das Bedürfnis der
Volkswirtschaft an möglichst günstiger Gestaltung der Frachten nicht
immer zu ihrem Rechte kommen. Auch das geldliche Bedürfnis des
Staates kann bei diesem Vorgehen geschädigt werden. An den Gewinnen
bat er keinen Anteil, aber an Verlusten wird er unter Umständen mit-
tragen müssen, da er die ausbedungene Pachtsumme nicht ganz fordern
kann, wenn dadurch die Bahn gefährdet würde. Im allgemeinen ist die
Verpachtung hiernach nur als ein unvollkommener Notbehelf anzusehen.
Die Erfahrungen in den Niederlanden bestätigen das. Ein 1908 ein-
gesetzter Ausschuß hbat 1911 einen Bericht über die Angelegenheit
etstattet, nach welchem eine schwache Mehrheit für Verpachtung aller
Bahnen an eine Gesellschaft, eine starke Minderheit für den Ubergang
zum reinen Staatsbahnwesen ist. In ltalien haben sich die Mängel des
Vorgehens so klar gezeigt, dab es auf Grund des Gesetzes vom 22. April
1905 beseitigt und seit 1. Juli 1905 durch den Staatsbetrieb ersetzt
worden ist.
Als ein Mittelding zwischen Privatbahn- und Staatsbahnwesen
erscheint das „gemischte System“, bei welchem ein Teil der Linien