288 III. Abschnitt. Der Eisenbahnverkehr.
So herrschte in den ersten Jahrzehnten fast überall das Privatbahn-
wesen vor, wenngleich vereinzelt und vorübergehend auch der Staats-
bahngedanke in mehr oder minder beschränktem Umfange Berück-
sichtigung fand. In den europäischen Festlandsstaaten entwickelte sich
aber eine schärfere Aufsicht des Staates über die Privatbahnen,
vielfach verbunden mit weitgehender Förderung des Privatbahnbaues
durch Beibilfen, Zinsgewährleistung usw. Namentlich Frankreich bat
in beiden Beziehungen viel geleistet und im Gegensatze zu dem
schwankenden Verhalten anderer Länder schon früh den Weg gefunden,
der seinen Bedürfnissen und Verbältnissen entsprach und deshalb fort-
dauernd festgebalten wurde. Nur in den 70 er Jahren trat eine stärkere
Hinneigung zum Staatsbahnwesen zutage, ohne dauernde Erfolge zu
erzielen. Bemerkenswert ist die Art und Weise, in der Frankreich sich
den späteren lastenfreien Heimfall der Bahnen gesichert hat.
In den 70 er Jahren wandten sich in den meisten — wenn auch
nicht in allen — Festlandsstaaten die Ansichten mehr und mehr dem
Staatsbahngedanken zu. Mabßgebend wurde hierbei namentlich das Vor-
gehen Preußens. Preußen hatte Mitte der 70 er Jabre den Gedanken
einer Ubertragung der Bahnen an das Reich angeregt, ohne damit An-
klang zu finden. Infolgedessen ging Preußen seit 1879 dazu über, die
wichtigeren Bahnen zu verstaatlichen. Heute herrscht in Preuben das
Staatsbahnwesen fast ausschlieblich. Auch in den übrigen deutschen
Bundesstaaten ist es mahgebend.
Die nichtdeutschen Staaten schlossen sich neuerdings meist ebenfalls
dem Staatsbahngedanken an, 80 Österreich-Ungarn und Dänemark seit 1880,
Rubland seit 1882 usw. Die Durchführung des Gedankens ist freilich in
manchen Ländern nicht völlig erkolgt. Immerhin läßt sich nicht be-
streiten, daß der Staatsbahngedanke — in mannigfachen Ausgestaltungen
natürlich — die Mehrzahl der Festlandstaaten gewonnen hat und u. a.
in Deutschland, Osterreich-Ungarn, Belgien, den Niederlanden, Däne-
mark, Norwegen, Rubßland, Serbien, Rumänien, Bulgarien, der Schweiz
auch tatsächlich als herrschend anzusehen ist. Auch in ltalien ist er
neuerdings — nach Aufgabe des Verpachtungssystems durch Gesetz vom
22. April 1905 — klar zur Anerkennung gelangt. In Schweden über-
wiegen trotz der offenbaren Hinneigung zum Staatsbahnwesen noch die
Privatbahnen. Auch in Portugal überwiegen die Privatbahnen. In
Spanien, Griechenland und der Türkei kommen — abgeschen von der
Hedschasbahn — nur Privatbahnen in Betracht. Frankreich hält an
seinem bisherigen Vorgehen fest. Erst in den letzten Jahren tritt
wiederum der Staatsbahungedanke in Frankreich stärker auf; er bat 1908
den Rückkauf der Westbahn durch den Staat veranlabt. Auch Grobß-
britannien bleibt beim Privatbahnwesen. In den australischen und süd-
afrikanischen englischen Pflanzstaaten überwiegen die Staatsbahnen,