290 III. Abschnitt. Der Eisenbahnverkehr.
verwirklicht worden. Der Gedanke selbst wird sich in der ursprüng-
lichen Form, so segensreich seine damalige Verwirklichung auch ge-
wesen wäre, jetzt nicht mehr durchführen lassen. Jetzt sind die einzel-
staatlichen Finanzen zu enge mit dem Eisenbahnwesen verwachsen, als
daß ohne ernstliche Störungen der volle Ubergang der Staatsbahnen in
das Eigentum und die Verwaltung des Reichs möglich wäre, und zu-
gleich würden jetzt bei einer solchen Anderung überaus hohe Aufwen-
dungen des Reichs zur Erwerbung der einzelstastlichen Bahnnetze
nötig werden.
Gleichwohl hat man den Gedanken nicht schlechthin fallen lassen.
Man versucht, ihm in anderer Form Rechnung zu tragen. Der schon
erwähnte Vertrag vom 23. Juni 1896 über die preubisch-hessische Eisen-
bahngemeinschaft bot eine gewisse Stütze dafür. In seinem Artikel 23
behielt er jedem der beteiligten Staaten vor, „für den Fall der Abtretung
seines Eisenbahnbesitzes an das Deutsche Reich auch die aus diesem
Vertrage erworbenen Rechte und Pflichten auf das Reich mit zu über-
tragen“. Im Artikel 22 war mit dem Falle gerechnet, „daß die Auf-
nahme in die Gemeinschaft von anderen Eisenbahnverwaltungen des
Deutschen Reichs beantragt und von der preubischen Regierung zu-
gestanden werden sollte“. In der Tat glaubte man vielfach, dabß die
preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft allmählich auf weitere deutsche
Staaten ausgedehnt werden könne. Das ist nicht geschehen. Seit 1904
fanden auf Anregung des Königs von Württemberg Verhandlungen über
den Gedanken statt, zwischen den deutschen Staatsbahnverwaltungen
eine vollständige „Betriebsmittelgemeinschaft“" zu schaffen. In dieser
sollten alle Betriebsmittel (Lokomotiven, Personen- und Güterwagen)
gemeinsam benutzt, Kohlen- und andere Betriebsstoffe gemeinsam be-
schafft und unbeschadet der Hoheits- und Besitzrechte der einzelnen
Staaten das deutsche Eisenbahnwesen einbeitlich verwaltet werden.
Man erwartete davon wesentliche Ersparnisse, die von Fachmännern
auf 12 Mill. M. jäbrlich geschätzt wurden. Trotzdem die Verhandlungen
eine Zeitlang erfolgreich zu verlaufen schienen, ist die Betriebsmittel-
gemeinschaft nicht zustande gekommen. Statt dessen ist der 1880
gegründete preußische Staatsbahnwagenverband, dem auch die Reicbs-
eisenbahnen, die oldenburgischen und seit 1908 die mecklenburgischen
Staatsbahnen und verschiedene norddeutsche Privatbahnen angehörten,
durch Ubereinkommen vom 20. und 21. November 1908 zum „Deutschen
Staatsbahnwagenverbande“ erweitert worden. Er trat am 1. April 1909
ins Leben und bezweckt die freie Benutzung der Güterwagen der zu-
gehörigen Verwaltungen durch jede Verbandsverwaltung unter Wegfall des
Zwanges zur Rücksendung der Wagen an die Heimatbahn, unter Beseiti-
gung der Anschreibungen über den Lauf der Wagen, unter Fortfall der Ab-
rechnung über die gegenseitige Wagenbenutzung durch die Abrechnungs-