5. Kapitel. Das Tarifwesen. 319
den Streckensatz auf die Längeneinheit mit der Entfernung geringer
werden zu lassen. Aus Zweckmäßigkeitsrücksichten kann aber die Ver-
minderung des Streckensatzes nicht von Kilometer zu Kilometer, sondern
mub stufen weise erfolgen. Auf diese Weise entsteht die Form des Staffel-
oder Skalentarifs. Der Staffeltarif kann 80 eingerichtet sein, daß in
jeder Staffel ein neuer Streckensatz für diejenigen Längeneinheiten
benutzt wird, welche in die betr. Staffel fallen. Er kann aber auch so
gebildet sein, dab der Streckensatz der billigsten Staffel auf die ganze
zurückgelegte Strecke angewandt wird.
Dieses Verfahren kann bei Güter- und bei Personentarifen ver-
wendet werden. In jedem Falle wird dabei der Entfernungsunterschied
beachtet, was schon deshalb nötig ist, weil solche Tarife nur für größere
Entfernungen in Betracht kommen. Selbst im Straßenbahnverkehr wird
nicht durchweg die Entfernung außer Acht gelassen, wenn auch nicht
selten für das ganze innere Netz ein bestimmter gleicher Einheitssatz
erhoben wird.
Im allgemeinen entspricht das den Anschauungen der Bevölkerung.
Man würde es als ungerecht empfinden, wenn die Beförderung eines
Reisenden oder einer Tonne Gut auf 1000 km nicht mehr kosten sollte,
als auf 10 km. Tatsächlich hat der Gedanke einer vollständigen Nicht-
beachtung aller Unterschiede der Entfernung in der Bevölkerung wenig
Verbreitung gefunden, obwohl es an eifriger und geschickter Werbearbeit
dafür nicht gefeblt hat Inbesondere ist für den Personenverkehr eine
solche vollständige Vereinheitlichung nach dem Vorbilde des Briefportos
verlangt worden. Schon 1843 hat WIIIAN GALT in einer Broschüre
„Railway reform, its expediency and practicability“ den wenige Jahre
vorher von RowAND HILL vertretenen Gedanken des einheitlichen Brief-
portos auch auf den Personenverkehr zu übertragen empfoblen. RaALII
BnaNDON schlug 1865 einen Einheitstarif für alle Entfernung en von 3p.
für die Reise und die Person vor oder für den Fall der Beibehaltung
der drei Klassen 1 sh. für die I., 6 p. kür die II. und 3 p. für die
III. Klasse. Seitdem ist der Gedanke in verschiedenen Formen — teils
mit, teils ohne Klassenabstufung — für den Personenverkehr immer wieder
aufgetaucht. Für den Güterverkehr ist das gleiche nur vereinzelt
geschehen.
Solche Vorschläge haben nur bei rein äuberlicher Betrachtung etwas
Bestechendes. Sie bedeuten allerdings eine auberordentliche Verbilligung
des Verkehrs auf längere Beförderungsstrecken. Hier wird aber der
Verkehr so unnatürlich verbilligt, dah er in jedem Lande mit reg-
samer Bevölkerung und kräftigem Wirtschaftsleben zu einer überaus
großen Verkehrssteigerung führen würde. Sie würde von einer be-
stimmten Grenze an mit den vorhandenen Anlagen, Geleisen, Lokomo-
tiven und Wagen und dem vorhandenen Personal nicht mehr zu be-