Full text: Volkswirtschaftslehre VII. Band: Das Verkehrswesen. (7)

5. Kapitel. Das Tarifwesen. 329 
Wagenausnutzung herbeizuführen, so liegt darin, wie schon erwähnt, 
bereits ein Zugeständnis an den Wertgedanken. Auch der Werttarif 
muß die am wenigsten wertvollen Waren, also wiederum die Massen- 
güter, am billigsten befördern, sodabß in dieser Hinsicht die Wirkung 
beiderseits auf dasselbe hinausläuft. Wenn andererseits der Wagenraum- 
und Gewichtstarif die Stückgüter mit höheren Frachten belastet, weil sie 
den Raum schlechter ausnutzen, so trifft er damit in der Hauptsache 
die wertvolleren Güter. Kohlen, Erze, Sand, Kalk, Dünger usw. werden 
nicht als Stückgüter versandt, wohl aber Seidenwaren, Tuch, feinere 
Eisen- und Stahlwaren und sonstige Fertigerzeugnisse. Der Werttarif, 
der in Wahrheit auf einige wenige Wertklassen zusammenschrumpft, 
muß diese selben Güterarten ebenfalls zu höheren Sätzen befördern. 
Auch hier treffen also beide in der Wirkung zusammen. Tatsächlich 
sind also die in beiden Tarifarten angewandten Grundgedanken nicht 
nur nicht unvereinbar, sondern bis zu einem gewissen Grade ist eine 
Vereinigung unvermeidlich. Durch solche Verbindung beider Gedanken 
kommt man zu dem gemischten Tarifverfahren („gemischtes Tarif- 
SStem“). Mit der allgemeinen Anerkennung eines solchen Vorgehens 
ist natürlich noch kein Urteil über die einzelnen hierher gehörigen Tarife 
gegeben. Ein gemischter Tarif muß möglichst einfach und übersicht- 
lich aufgebaut sein, nur wenige große Wertklassen enthalten und jede 
Uberspannung vermeiden. Ob ein bestimmter gemischter Tarif unter 
diesen Gesichtspunkten günstig oder ungünstig beurteilt werden muhh, 
ist eine Tatfrage. 
Ein gemischter Tarif wurde 1874 in Bayern (rechtsrheinisch) und in 
Württemberg eingeführt. Auch der deutsche Reformtarif von 1877, das 
Ergebnis langjähriger Verhandlungen und die Grundlage des heutigen 
deutschen Eisenbahngütertarifs, stellt sich als ein gemischter Tarif dar, 
ebenso der österreichische Reformtarif von 1876 und der Schweizer 
Tarif von 1882. 
Der deutsche Reformtarif hat dem früheren Tarifwirrwarr in 
Deutschland ein Ende gemacht. Im Jahre 1875 bestanden auf den 
deutschen Bahnen ohne Bayern 1375 verschiedene Tarife, die sehr 
großbe formelle und sachliche Verschiedenheiten aufwiesen. Der Reform- 
tarif von 1877 wurde am 1. Juli 1877 im Binnenverkehr aller preu- 
Bischen Bahnen und in wichtigen Nachbarverkehren eingeführt und in 
den nächsten Jahren — bis 1880 — auf allen deutschen Bahnen auf- 
genommen. Er brachte zunächst die formelle Tarifeinbeit für Deutsch- 
land, und die einbeitliche Fortbildung wurde auch für die Zukunft 
gesichert durch die vom preubischen Minister der öffentlichen Arbeiten 
berufenen und regelmäbßig wiederkehrenden „Generalkonferenzen der 
deutschen Eisenbahnen“. Ihnen gehören alle Verwaltungen an, die den 
Normaltarif angenommen haben. Ihr Stimmrecht ist nach der Aus-
	        
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