2. Kapitel. Entwickelungsgang. 383
JNotwendigkeit der Kornzufuhr aus Sizilien und Nordafrika zur regen
Pflege der Seeschiffahrt. Um die Entwickelung des Seeverkehrs haben
sich die Römer namentlich durch energische Bekämpfung des Seeräuber-
tums verdient gemacht. Im römischen Reiche war das Mittelmeer zu
einem römischen Binnenmeer geworden, auf dem der Verkehr nach ein-
heitlichen Rechtsgrundsätzen geregelt war und sich frei entwickeln konnte.
Die Stürme der Völkerwanderung unterbrachen auch hier die stetige
Entwickelung, und im Mittelalter übernahmen zunächst nordische Völker
die Führung. Die Nordgermanen (gewöhnlich Normannen genannt),
durch die Natur Skandinaviens für die Seefahrt vortrefflich vorbereitet,
leisteten mit ihren kleinen Fahrzeugen in der Zeit vom 8.—11. Jahr-
hundert hervorragendes in der Seefahrt, allerdings nicht, wie ehemals
die Phönizier, überwiegend in der Handelstätigkeit, sondern vor-
zugsweise als ein vielgehaßtes Eroberervolk. Sie kommen Ende des
S. Jahrhunderts plündernd nach England und Irland, dringen im 9. Jabr-
bundert in die mitteleuropäischen Gebiete ein, deren Flüsse sie oft weit
binauffuhren. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts erreichen
schwedische und norwegische Seefahrer Island; diese Insel zog bald
viele Norweger an, diesich der Herrschaft des König HaRALD HAARrAGENM
nicht unterwerfen wollten. Hier in Island kann man von einer wirk-
lichen Siedelungstätigkeit sprechen, die dann von bier aus gegen Ende
des 10. Jahrhunderts auch auf Grönland und im 11. Jahrhundert auf
das um das Jahr 1000 zufällig entdeckte Amerika übergriff. Allerdings
gingen in beiden Gebieten die Ansiedelungen im Kampfe mit den Eskimos
und mit verheerenden Seuchen wieder zugrunde, und dauernde Ein-
wirkungen auf die europäische Handelstätigkeit haben sich deshalb an
die Entdeckungen der Normannen nicht angeschlossen. Auch die Ge-
biete des Weißen Meeres wurden von den Normannen aufgesucht.
Folgenreicher war die Seetätigkeit der deutschen Hansa, jenes
großen deutschen Städtebundes, der sich allmählich aus unscheinbaren
Anfängen entwickelt hatte und in seiner Blütezeit (1370—1195) einen
lebhaften Handelsverkehr mit dem ganzen nördlichen, nordöstlichen und
nordwestlichen Europa unterhielt. Die Hanseaten hielten den noch un-
mündigen Norden Europas in grobßer Abhängigkeit auch in politischer
Beziehung; sie waren aber auch Träger des wirtschaftlichen Fortschritts
im besten Sinne des Wortes. Im 16. und 17. Jahrhundert zerfiel das
stole Gebäude der Hansa, vornehmlich deshalb, weil es den veränderten
Anforderungen einer Zeit nicht gewachsen war, in der die bisherigen
Arbeitsgebiete wirtschaftlich erstarkten und mit wachsender Tatkraft
ihre wirtschaftliche Selbständigkeit zu sichern suchten.
Im Mittelmeerbecken kamen die italienischen Städterepubliken zu
grober Bedeutung als See- und Handelsmächte, namentlich seit den
Kreuzzügen, die zu lebhafteren Handelsbeziehungen mit dem Osten führten.