Full text: Volkswirtschaftslehre VII. Band: Das Verkehrswesen. (7)

498 V. Abschnitt. Der Luftverkehr. 
Fesselung in schräger Stellung derart, daß er sich dem Windwider- 
stande stetg mit seinem Querschnitt entgegenstellt. Bei sehr starken 
Stürmen versagt auch dieses Mittel. Immerhin kann der Fesseldrachen- 
ballon noch bei Winden von 20 m in der Sekunde, also bis zur Wind- 
stärke 9, verwendet werden. 
Für Verkebrszwecke kommt der gefesselte Drachenballon nicht in 
Betracht. Der freifliegende Kugelballon hat Verkehrszwecken wiederholt 
gedient. Bekannt ist namentlich seine Verwendung zur Personen- und 
Briefbeförderung während der Belagerung von Paris. Vom 23. Sept. 
1870 bis 22. Januar 1871 sind dort 65 Ballons aufgestiegen; sie beför- 
derten 91 Fahrgäste und 2½ Millionen Briefe. Zu größeren Verkehrs- 
leistungen sind aber diese Fahrzeuge nicht fähig. Dem steht schon 
entgegen, daß lange Dauerfahrten nur ausnahmsweise möglich sind. 
Die meisten Kugelballonfahrten dauern nur einige Stunden. Wichtiger 
ist, daß der freischwebende Kugelballon nur mit dem Winde in wag- 
rechter Richtung bewegt werden kann. Die bewegende Kraft wird ihm 
zwar unentgeltlich und ohne Mübewaltung zur Verfügung gestellt, aber 
sie beherrscht ihn auch. Ein bestimmtes Ziel kann man nur dann 
erreichen, wenn die bestehende Windrichtung dahin führt. Ein wirk- 
licher Luftverkehr bedarf vor allem der Zielsicherheit, und diese ist mit 
freischwebenden Kugelballons nicht zu erreichen. 
Die Fragen der Lenkbarkeit und der Ausrüstung des Fahrzeuges 
mit eigener bewegender Kraft sind voneinander untrennbar. Jene ist 
ohne diese nicht erreichbar, und diese ist ohne jene zwecklos. Da die 
Auftriebskraft gefunden war, mubßte auch die Vortriebskraft gefunden 
werden, um die erste Voraussetzung der Lenkbarkeit und Zielsicherheit 
zu schaffen. Dabei war aber von vornherein damit zu rechnen, daß 
die Kugelform der Fahrzeuge aufzugeben war. Alle Versuche, lenkbare 
Luftfahrzeuge zu schaffen, haben dem Rechnung getragen. Daß noch 
eine Fülle von technischen Einzelfragen gelöst werden mutte, versteht 
sich von selbst. Die Frage der Lenkbarkeit ist alt, aber ihre Lösung 
hat sich in wenig mehr als einem Jahrhundert vollzogen. Die Aus- 
bildung der Seefahrzeuge zu brauchbaren Formen und zuverlässigen 
Leistungen hat viele Jahrhunderte erfordert. Die Herausarbeitung lenk- 
barer Luftfabrzeuge mit einem hohen Grade von Zuverlässigkeit der 
Leistung hat nur wenige Jabrzehnte beansprucht. Es giebt wenig Tat-- 
sachen, welche die Eigenart unserer Zeit so gut kennzeichnen, wie diese 
Schnelligkeit der Entwickelung. 
Die eigentlichen Arbeiten zur Ausbildung lenkbarer Luftschiffe be- 
ginnen um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Aber wichtige grundlegende 
Gesichtspunkte für die Frage der Lenkbarkeit sind schon einige 60 Jabre 
früher aufgestellt worden in der Denkschrift des französischen Offiziers 
MECNER vom Jahre 1784. MEUsxlER schlägt einen gestreckten
	        
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