Full text: Volkswirtschaftslehre VII. Band: Das Verkehrswesen. (7)

3. Kapitel. Die Wirkungen des vervollkommneten Verkehrswesens. 47 
auch nicht sein. Wirtschaftlich ist allerdings noch keine volle Gleichheit 
erzielt, und in manchen Beziehungen ist infolgedessen der wirtschaftlich 
freie und rechtlich gleichgestellte Arbeiter viclfach mehr als sonst bei 
Wechselfällen des Lebens auf sich allein angewiesen worden. Aber die 
Mißstände, die sich daraus ergeben, treffen jetzt auf eine viel mehr ge- 
schärfte soziale Erkenntnis und auf ein viel lebendigeres soziales Pkflicht- 
bewubtsein als noch vor wenigen Jahrzehnten, und man darf trotz aller 
Schwierigkeiten und Fehlschläge doch hoffen, daß aus dem sozialen 
Ringen unserer Zeit schlieblich das herauswachsen wird, was dem Ganzen 
am besten frommt. 
Die Bewegung der breiten Volksschichten richtet sich noch immer 
vorzugsweise nach den Mittelpunkten des Verkehrs und des Gewerbe- 
fkleißes. Diese Richtung und das starke Anwachsen dieser Mittelpunkte, 
das riesige Anschwellen der Grobstädte ist ohne Frage durch das neue 
Verkehrswesen, wenn nicht hervorgerufen, doch jedenfalls außerordent- 
lich begünstigt worden. Gute und böße Folgen knüpfen sich daran. 
Günstig ist die Verstärkung des Grundstocks an Arbeitskrästen für den 
Gewerbefleiß, dessen krästige Entfaltung bei stark wachsenden Völkern 
unentbehrlich ist, und die Hereinziehung erheblicher Teile der unteren 
Klassen in höhere Lebensverbältnisse. Ungünstig ist die Zusammen-- 
drängung großer Menschenmengen, deren wirtschaftliche Lage bei den 
heutigen Lohnverhältnissen die Gefahr der Verarmung in sich schlieht, 
und deren Umfang den Wettbewerb im Angebote von Arbeitskräften 
an manchen Orten in ungesunder Weise steigert; ungünstig ist vor allem 
auch die Abkehr der Arbeitskräfte von der landwirtschaftlichen Tätig- 
keit. Der unleugbare und — nach den Ergebnissen der landwirtschaft- 
lichen Betriebszählung von 1907 zu schließen — überaus empfindliche 
Nangel an Arbeitskräften für erhebliche Teile der Landwirtschaft ist 
eine ernste volkswirtschaftliche Gefahr. Er zwingt uns, entweder darauf 
zu verzichten, dal) wir den wesentlichen Teil unseres Nahrungsbedarfs 
zur Wahrung der nationalen Unabhängigkeit aus eigener Erzeugung 
decken, oder uns mit unerwünscht groben Mengen von Arbeitskräften 
fremder Länder zu behelfen, denen das Empfinden für unsere Nation 
und ibre Bedürfnisse abgeht. Abbilfe kann hier das Verkehrswesen 
allein nicht schafften; es kann sie nur erleichtern dadurch, daß es das 
Abströmen oder Rückströmen auf das Land begünstigt durch Tarif- 
maßnahmen u. dgl. Den breiten Schichten wieder mehr Sinn und Ver- 
ständnis für den Wert der ländlichen Arbeitsgelegenbeiten zu wecken, 
muß von anderer Seite her versucht werden. 
Mit dem Zusammendrängen der Arbeiter in den Städten verschlech- 
tern sich oft die Wohnungsverhältnisse der unteren Schichten, weil dem 
schnellen Anwachsen der Nachfrage nach kleinen und günstig gelegenen 
Wohnungen die Bautätigkeit vielfach nicht nachfolgen Kann. Hier kann
	        
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