Full text: Volkswirtschaftslehre VII. Band: Das Verkehrswesen. (7)

50 I. Abschnitt. Das Verkehrswesen im allgemeinen. 
einzelnen Menschen näher heran. Der große Abstand der beengten Lage 
weiter Volksschichten gegenüber den begünstigten Verhältnissen kleiner 
Kreise kommt den einzelnen mehr zum Bewubtsein, und das steigert 
die Unzufriedenheit der Massen und leistet dem Aufkommen einer 
Strömung Vorschub, die den sittlichen Gütern der Volksgemeinschaft und 
Religion abgewandt ist. Manches Mittel sittlicher Zucht, insbesondere 
auch das innigere Verwachsen der in engeren Bezirken miteinander 
Lebenden, schwindet dahin. Das Leben wird hastiger, unruhiger, unsteter. 
aufgeregter, für manche auch in geistiger Beziehung reizloser und eintöniger. 
In hartem, unaufhörlichem, rastlosem Ringen nutzt sich manche gute 
Kraft vorschnell ab. Das alles ist unerfreulich und darf nicht übersehen 
werden. Stärkere Pflege sittlichen Sinnes, Aufzeigen und Verfolgen 
höherer Ziele, Erleichterung des Naturgenusses u. dgl. mehr mubß nach- 
teiligen Wirkungen solcher Verschiebungen entgegenwirken, und das 
vervollkommnete Verkehrswesen läht sich so handhaben, dabß es diesem 
Entgegenwirken gute Dienste zu leisten vermag. Es kann den Gedanken- 
austausch über höhere Ziele und Auffassungen erleichtern, die geistige 
Erholung, die Vertiefung in die Schöpfungen der Künste, das Versenken 
in die groben Schönheiten der Natur an sonst nur sehr schwer zugängigen 
Plätzen befördern, wenn wir auch vielfach dabei auf die alten Formen 
aus den Zeiten wenig leistungsfähigen Verkehrswesens nicht zurück- 
greifen können. Eine Eisenbahnfahrt über die Alpen z. B. bietet eine 
Fülle schöner Bilder, aber sie läht ein dichterhaftes Stilleben in dem 
Reisenden nicht aufkommen; und doch würden wir in den meisten Fällen 
nicht bereit sein, unsere Reisen wieder in den alten oft besungenen Post- 
kutschen zu machen, bei denen übrigens das Reizvolle, das man ihnen 
nachsagt, oft genug vor der sehr fraglichen Sicherheit und Bequemlich-- 
keit nicht stand gebalten haben dürfte. Will jemand heute den Reiz 
einer Gegend nicht nur flüchtig genieben, so kann er dorthin leicht zu 
längerem Verweilen gelangen, oder er kann sie bei den guten Land- 
straßen, die unser verwöhntes Verkehrsbedürfnis neben allen anderen 
Verkehrsmitteln aufrecht zu erhalten und auszudebnen erheischt, zu Fu·ß 
oder mit dem Fahrrade durchwandern oder mit dem Kraftwagen durch- 
eilen usf. Das heutige Verkehrswesen kommt darin den verschiedensten 
Bedürfnissen entgegen. Eine gesunde Freude an den Schönheiten der 
Welt ist am letzten Ende dank dem heutigen Verkehrswesen jetzt nicht 
nur in gleichem, sondern in höherem Maße möglich als sonst. 
Den heutigen Verkehrsmitteln wird manchmal vorgeworfen, daß sie 
der Prunkliebe und dem überflüssigen Verbrauche Vorschub leisten un- 
mittelbar dadurch, daß sie überflüssige, lediglich dem Vergnügen dienende 
Reisen erleichtern und vermehren, mittelbar dadurch, daß sie überhaupt 
einem bequemen und üppigen Wohlleben die hierzu geeigneten Mittel 
leicht zuführen. Sind auch solche Wirkungen nicht ganz zu leugnen,
	        
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