3. Kapitel. Die Wirkungen des vervollkommneten Verkehrswesens. 51
so darf man sie doch nicht überschätzen. Der Anteil wirklich überflüssiger
Vergnügungsreisen ist gering. Der weitaus größte Teil der Reisen dient
geschäftlichen und anderen beruflichen Zwecken. Von dem Reste wird
ein großer Teil unternommen, um aus dem Dunste der Grotstädte in
die freie Natur zu gelangen, um künstlerische Veranstaltungen aufzusuchen,
um an Familienfeierlichkeiten freudigen oder schmerzlichen Anlasses
teilzunehmen usw. An diesem Teile der nichtgeschäftlichen Reisen ist
nichts, das zu Bedenken Anlaß geben könnte. Die Zahl wirklich über-
flüssiger Reisen ohne jeden ernsteren Anlaß und lediglich im Dienste
übertriebener Genußsucht ist doch schlieblich gering. Was die mittelbare
Steigerung der Genubßsucht infolge des neuen Verkehrswesens anlangt,
80 ist sie jedenfalls keine allgemeine Erscheinung. Man verwechselt dabei
meist Genußsucht mit der Erweiterung des Bedürfniskreises. Unsere
Bedürfnisse haben sich in der Tat unter der Einwirkung des modernen
Verkehrswesens beträchtlich erweitert und verfeinert; wir können sie
aber auch mit verhältnismäßig geringerem Aufwande befriedigen und unser
Leben reizvoller, abwechslungsreicher gestalten, als es früheren Zeiten
möglich war. Nur ein unsittliches und unwirtschaftliches Ubermaß kann
dabei bedenklich sein. Im übrigen ist es ein erkfreuliches Zeichen ge-
steigerter Lebensverhältnisse, dab wir den ganzen Zuschnitt unseres
Lebens in jeder, auch in geistiger Beziehung besser und feiner aus-
gestalten können, und daß auch die unteren Klassen hieran ihren reichlich
bemessenen Anteil haben. Freilich geht das über die übrigens sehr
flüssige Grenze des unbedingt Notwendigen hinaus, aber es ist im all-
gemeinen ein sittlich berechtigter und volkswirtschaftlich sogar wünschens-
werter Vorgang, der auf die ganze Lebensauffassung veredelnd zurück-
wirkt. Auch darin liegt ein Mittel gegen die oben bezeichnete Gefahr
Sittlicher Benachteiligung.
8 5. Die Wirkungen für das politische Leben des Folkes. Die
Einwirkung des neuen Verkehrswesens auf das innere politische Leben
des Volkes ist sehr groß. Der ganze Zuschnitt des öffentlichen Lebens
ist durch die vervollkommneten Verkehrsmittel beeinflußt. Nicht nur
der Aufgabenkreis der öffentlichen Gewalt, insbesondere des Staates, hat
sich bedeutend erweitert durch die Anforderungen, die von den ver-
besserten Verkehrsmitteln gestellt wurden; auch die Grenzen für das
wirksame Eingreifen der Staatsgewalt sind viel weiter gezogen.
Hierbei spielt vor allem der Nachrichtendienst eine hervorragende
Rolle. Zu allen Zeiten hat man erkannt, daß für die Zentralgewalt ein
gut eingerichteter Nachrichtendient eine der wesentlichsten Stützen sei.
Lange bevor das Verkehrsbedürfnis die Hereinziehung des ganzen
Volkes in den Nachrichtendienst erbeischte, hat sich für Regierungs-
zwecke ein besonderer planmäßiger und wohldurchdachter Nachrichten-
dienst entwickelt, z. B. bei den Persern und Römern. Es ist klar,
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