3. Kapitel. Die Wirkungen des vervollkommneten Verkehrswesens. 53
durchaus möglich macht. Die kleineren Staatswesen, die zwischen andere
Staatsgebiete eingekeilt sind, können ihren Sonderbestand bei dem heutigen
Grade des Verkehrswesens dadurch aufrechterhalten, daß sie sich wirt-
schaftlich und politisch möglichst eng an ein größeres Staatswesen an-
gliedern oder sich ihm eingliedern, was allerdings beides ohne gewisse
Opfer an selbständigen Befugnissen nicht möglich ist. Ohne diese Vor-
aussetzung würde der Fortbestand vieler Kleinstaaten ein Verkehrs-
hindernis sein.
Eine zu weitgehende Zusammenfassung der Verwaltung an einer
Stelle hat große Nachteile, und vor Ubertreibungen mufß man sich hüten.
Sie sind keineswegs eine notwendige Begleiterscheinung des vervoll-
kommneten Verkehrswesens. Dieses leistet vielmehr gerade dem Bestreben,
Ubertreibungen zu vermeiden, Vorschub. Denn es erleichtert nicht nur
die Zusammenfassung der Verwaltung an einer Zentralstelle, sondern
auch eine vernünftige Teilung und Gliederung, und es stärkt nicht nur
die Regierung, sondern auch die Regierten. Die Mitberufung des Volkes
(nicht einzelner Bevölkerungsgruppen) zur Bearbeitung der Staatsange-
legenheiten in Gestalt der Volksvertretung, die als eine Gewaltbe-
schränkung der Fürstenmacht erscheint, hat sich in reicherem Mahe
erst unter der Herrschaft des neuen Verkehrswesens entwickeln können.
Sie wurde jedenfalls in dieser Zeit eine Notwendigkeit. Die Steigerung
der Volksbildung, die Befreiung von der örtlichen Gebundenheit, die
Verstärkung des Gemeinschaftsgeistes, die sich auch auf das politische
Leben erstreckte, die Verallgemeinerung der Presse, alles das hat dem
einzelnen Bürger die Teilnahme an dem öffentlichen Leben so bedeutend
erleichtert, daß sich in den vorgeschrittenen Staaten keine Regierung
auf die Dauer weigern konnte, die Folgerungen daraus zu ziehen. Jede
wichtigere Mabregel der Regierung wird bei dem heutigen Verkehrs-
wesen der Beurteilung aller zugängig gemacht, und diese Beurteilung
findet reichlich Gelegenheit, sich vernehmen zu lassen. Eine der
wichtigsten Mächte des heutigen innerpolitischen Lebens konnte sich nur
unter der Herrschaft des vervollkommneten Verkehrswesens entwickeln,
nämlich die „öffentliche Meinung“; in ihrer heutigen Form war sie
früher unmöglich.
Noch in einer anderen Beziehung hat das neue Verkebrswesen
einen sehr bedeutsamen Einfluß ausgeübt. Der schon besprochenen Aus-
gleichung der Standesunterschiede reiht sich eine zwar nicht völlige,
aber doch weitgehende Verwischung der Eigenart engerer Gebiete an.
Dabei geht manche berechtigte Eigentümlichkeit verloren, aber dafür
erwächst dem Volke ein anderes Gut von höchstem Werte. Die einzelnen
Glieder des Volkes werden einander mehr genähert, häufiger mit einander
gemischt, sie lernen gegenseitig ihre Eigenart mehr schätzen, sie wachsen
mehr und mehr ineinander, und das Gefühl der inneren Zusammen-