54 I. Abschnitt. Das Verkehrswesen im allgemeinen.
gehörigkeit, der gemeinsamen Ziele, Bedürfnisse und Aufgaben, das
Volksbewuhtsein, erstarkt. Dies Bewuhbßtsein durchdringt alle Kreise und
alle Verhältnisse, und wo ein grobes Volk an einer geschichtlich ent-
standenen Zersplitterung leidet, da erwacht in der Volksseele jetzt ein
mächtiges Sehnen, als ein einheitliches Ganzes die Aufgaben des Volkes
zu lösen. Ein gemeinsames Vaterland, durch innere geistige Gemeinschaft
unlöslich zusammengehalten, das ist das Ziel dieser Sehnsucht.
Die Geschichte Deutschlands zumal hat die Wahrheit des gesagten
erhärtet. Eisenbahnen und Telegraphen haben dem Zusammenschlusse
der deutschen Staaten ohne Zweifel Vorschub geleistet. Die politische
und wirtschaftliche Einheit des Vaterlandes aber ist die wichtigste Grund-
lage einer gesunden Entwickelung in volkswirtschaftlicher Beziehung
wie in den gesamten Lebensverhältnissen des Volkes überhaupt.
8 6. Die Mirhungen für die internationalen Beziehungen. Das
Verkehrswesen mit seiner starken Wirkung in die Ferne hat auch im
internationalen Völkerverkehr ähnliche Folgen wie im inneren politischen
Leben der Völker. Auch hier tritt eine häufigere Berührung und Ver-
mischung ein, auch bier werden die (nationalen) Vorurteile gemildert;
die Eigenart des einzelnen Volkes findet bei dem anderen mehr Ver-
ständnis und gerechtere Beurteilung, die Gemeinsamkeit vieler geistiger
und wirtschaftlicher Bedürfnisse wird erkannt, die Ergebnisse der geistigen
Arbeit der einzelnen Völker werden zum Gesamteigentum der geistig
und sittlich böher entwickelten Menschheit, Mit einem Worte, es ent-
Wickelt sich infolge neuen Verkehrs, namentlich des Personen- und
Nachrichtenverkehrs, ein gesunder weltbürgerlicher Sinn. Daß dieser
sich bis zur Unterschätzung des eigenen Volkswertes oder gar bis zur
völligen Abkehr von dem eigenen Volkstum steigern könnte, hat man
schon in den ersten Zeiten der Eisenbahnen befürchtet. Aber es wird
sich in der Regel hierbei nur um Einzelvorgänge handeln. Ein gesundes
Volk als solches wird umsoweniger diese Gefahr laufen, als sich — wie
bereits erwähnt — gerade das Volksbewuhtsein unter der Herrschaft des
neuen Verkehrs wesentlich gestärkt hat. Nur für Völker, die schon
innerlich krank sind, kann die besprochene Wirkung des Verkehrs-
wesens gefährlich werden.
Durch die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen werden die
einzelnen Länder bis zu gewissem Grade auch politisch in engere Be-
rührung gebracht. Man bekürchtet öfter, daßb hieraus auch eine gröbere
Abhängigkeit von fremden Staaten entstehen müsse, die bei politischen
Verwickelungen, bei Kriegen usw. die Selbständigkeit des Landes be-
drohen könne, insbesonders bei Staaten, die ihre gewerbliche Ent-
wickelung einseitig betrieben und deshalb ihre Landwirtschaft so vernach-
lässigt haben, dabß sie für die Hauptmasse ihres Nahrungsmittelbedarfs
auf fremde Zufuhren angewiesen sind. Diese Zufuhren völlig ab-