4. Kapitel. Die Aufgaben der öffentl. Gewalt gegenüber dem Verkehrswesen. 63
übertragen werden; denn in einer ganzen Reihe von Beziehungen er-
weisen sich die letzteren lediglich als dienende Glieder des Staates. Aber
die allgemeinen Grundsätze, die für den Staat gellen, sind auch auf die
nachgeordneten Stufen für ihren engeren Wirkungskreis sinngemäß an-
zuwenden.
Vorweg ist einem Irrtume zu begegnen, der bei allen volkswirt-
schaftlichen Angelegenheiten so leicht zutage tritt und bei allen in
sleicher Weise gefährlich ist. Welches auch das Ergebnis der nach-
folgenden Untersuchungen sein mag, es kann nur zugeschnitten sein
auf die Verbältnisse, unter denen wir leben. Ob die künftigen Ge-
schlechter die gleichen Grundsätze als maßgebend anzuerkennen ver-
mögen, das können wir nicht wissen; daß frühere Geschlechter zum
Teil anderen Grundsätzen gefolgt sind, das wissen wir. Alle volkswirt-
schaltlichen Lehren, die ihre Ableitungen als unbedingt wahr, als für
alle Zeiten und Verhältnisse zutreffend hinstellen, schweben in der Luft.
So wie sich der Inbalt des Begriffs Gerechtigkeit im Laufe der Zeit
verschiebt, so wie sich die Gestaltung des Rechtes fortdauernd mit den
Cmformungen des Gemeinschaftslebens umbildet, so kann auch alles,
was die Volkswirtschaftslehre aus den Erscheinungen des Wirtschafts-
lebens als allgemeingültig ableitet, nmur unter den zugrunde liegenden
Verhältnissen Geltung beanspruchen. Nur von bedingter Geltung also
kann die Lösung sein, die sich im nachstehenden ergeben wird.
Die Aufgaben des Staates auf wirtschaftlichem Gebiete werden
auch heute noch verschieden beurteilt. In einem Punkte aber scheidet
Sich die jetzt herrschende Auffassung wesentlich von derjenigen früherer
Zeiten: sie weist dem Staate ein viel größeres Malß von eigenen Leistungen
und Aufgaben zu, ihr genügt nicht mehr eine Betätigung, die sich damit
begnügt, die dem freien Wechselspiel aller Krälte entgegenstehenden
Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Zu dieser Umbildung der An-
schauungen hat gerade das neue Verkehrswesen nicht zum wenigsten
mit beigetragen.
Der Staat fahßt die Kraft der in ihm lebenden und wirkenden Menschen
und Menschengemeinschaften zur Durchführung gemeinsamer Aufgaben
zusammen. Er soll nicht unter Vernichtung der Selbsttätigkeit der ein-
zelnen und der engeren Gemeinschaften alle Aufgaben in die Hand
nehmen, die überhaupt innerhalb der Gesamtgemeinschaft entstehen, er
Ssoll aber auch nicht alles den einzelnen und den engeren Gemeinschaften
überlassen. Die Masse der Kräfte, die in dem Staate verkörpert ist, reicht
für das erstere nicht aus; aber sie reicht über das letztere hinaus, und
es wäre unwirtschaftlich, den Kraftüberschuß brach liegen zu lassen, wenn
sich Stellen finden, an denen er sich betätigen kann. Richtschnur kür
das Verhalten des Staates kann nur das Wohl der Gesamtheit sein. Er
hat das Recht und die Pflicht, mit seinen Leistungen überall da ein-