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Nun fragt es sich, was zu geschehen hat, wenn das Etats-
gesetz einmal gar nicht oder nicht rechtzeitig zustande kommt.
Die Möglichkeit dieses zweifellos verfassungswidrigen Zustandes
ergibt sich hier daraus, daß der Gesetzgeber sich selbst als Gesetz-
geber etwas befiehlt, jeder Faktor der Gesetzgebung aber bei jedem
Gesetze das Recht der freien Entschließung hat. Der Erlaß einer
Notverordnung oder eines provisorischen Gesetzes bieten hier Aus-
hilfsmittel, die jedoch nicht ausreichen.
Für die Einnahmeseite hat der Etat überhaupt keine recht-
liche Bedeutung, die Einnahmen beruhen auf der ein für allemal
feststehenden Rechtsordnung. Sie werden daher auch forterhoben,
wenn der Etat nicht zustande gekommen ist.
lber dieses mangelnde Steuerbewilligungsrecht der preußischen
Volksvertretung tröstete man sich früher damit, daß sie wenigstens
ein unbedingtes und ebenso wirksames Ausgabebewilligungerecht
habe (v. Rönne). Also die Einnahmen sollten zwar weiter gehen,
die Regierung aber ohne Etatsgesetz nichts ausgeben dürfen. Da
davon im Ernste nicht die Rede sein konnte, handelte es sich
nur um ein politisches Kampfmittel, um das Ministerium zum
Rücktritte zu zwingen. Deshalb drückte der Abg. Schulze-Delitzsch
in der Konfliktszeit diese Auffassung zutreffender dahin aus: „Diesem
Ministerium keinen Pfennig!“ Doch auch von einem solchen Aus-
gabebewilligungsrechte kann nicht die Rede sein.
Die rechtlich notwendigen Ausgaben sind, unabhängig vom
Etat, unter allen Umständen zu leisten. Sie gehen also auch weiter,
wenn der Etat nicht zustande gekommen ist.
Für die übrigen Ausgaben fällt die im Etatsgesetze liegende
Instruktion der Behörden fort. Der Mangel der Instruktion macht
aber eine Behörde nicht überhaupt handlungsunfähig, sondern nötigt
sie nur nach eigenem pflichtmäßigen Ermessen zu handeln. Der
Mangel des Etats macht sich nur nachher bei der Rechnungs-
kontrolle geltend, indem die verausgabende Behörde die Sachlichkeit
der Ausgabe nachweisen muß.
Die Rechnungskontrolle ist eine doppelte, eine verwaltungs-
rechtliche durch die Oberrechnungskammer und eine verfassungsrecht-
liche durch die gesetzgebenden Körperschaften. Letztere haben unter