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stimmung der Volksvertretung, welche Vermutung durch die Ver-
sagung der Genehmigung widerlegt ist, sondern auf eigenem ver-
fassungsmäßigen Rechte des Monarchen. Die Notverordnung verliert
daher nicht nach rückwärts ihre Wirkung, sondern tritt erst durch
die Zurücknahme außer Kraft. Alle unter ihrer Herrschaft vor-
gefallenen Tatbestände sind daher nach der Notverordnung zu
beurteilen.
Neben der Notverordnung bleibt auch das Indemnitätsber-
fahren nicht ausgeschlossen, wo sie rechtlich oder tatsächlich un-
möglich sein würde. Namentlich kommen in dieser Hinsicht Etats-
überschreitungen in Betracht.
III. §5 30. Die richterliche Gewalt.
Recht und Gericht stehen nach altdeutscher Auffassung im
engsten organischen Zusammenhange miteinander. Die Rechts-
ordnung, im wesentlichen auf dem Herkommen beruhend und das
Privat-, Straf= und Prozeßrecht umfassend, gilt als das angeborene
Recht des freien Mannes und ist der einseitigen Abänderung durch
die Obrigkeit entzogen. Soweit die Rechtsordnung reicht, hat die
Obrigkeit auch nicht die Rechtsanwendung. Der Vertreter der
Obrigkeit, der Richter im altdeutschen Sinne, hat nur das Gericht
zu halten, d. h. die Parteien zu laden, den Vorsitz zu führen und
schließlich das Urteil zu vollstrecken. Die Fällung des Urteils ist
Sache der Gerichtsgemeinde, als deren Vertretung seit der karo-
lingischen Skabinenverfassung die Schöffen auftreten. So liegen
Rechtssatzung wie Rechtsfindung außerhalb der Aufgaben der
Obrigkeit.
Die spätere ständische Zersplitterung hat an diesen Grund-
lagen nichts geändert. Das gemeine Volksrecht löste sich aller-
dings auf in ein Recht der einzelnen Stände. Und wo ein
eigenes Standesrecht sich entwickelt hatte, löste sich der Stand auch
los aus dem gemeinen Volksgerichte und bildete sich ein eigenes
Standesgericht für Geistlichkeit, für hohen und niederen Adel und
für die Städte. Wie das alte Volksrecht zum Bauernrechte, wurde
das Volksgericht zum Bauerngerichte, soweit die Bauern nicht nach
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