Full text: Grundriß des Deutschen Staatsrechts.

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sammensetzt, ein Bundesstaat. Als solcher hat er auch seine eigene 
Verfassung, die mehr ist als Staatsvertrag und übereinstimmendes 
Landesgesetz der verbündeten Staaten. 
Welche Bedeutung hatten denn nun die Staatsverträge und 
übereinstimmenden Landesgesetze, auf die Seydel das entscheidende 
Gewicht legt? Die Entstehung des Staates ist nicht ein Erzeugnis 
des Rechts, sondern eine geschichtliche Tatsache. Was von der Ent- 
stehung des Staates im allgemeinen gilt, trifft auch zu für die Ent- 
stehung des Bundesstaates. Auch er entsteht durch die Macht der 
geschichtlichen Ereignisse und bedarf dazu nicht der Zustimmung 
aller Gliedstaaten, wenn nur die Macht da ist, die neue Staats- 
bildung zu behaupten. So sollte die schweizer Bundesverfassung 
von 1848 in Kraft treten, wenn die Mehrheit der Kantone und 
die Mehrheit des Schweizervolkes ihr zugestimmt habe. So wäre 
die Verfassung der Paulskirche ins Leben getreten, wenn die Mehr- 
heit der Nationalversammlung die Verständigung mit dem preußischen 
Staate als dem realen Machtfaktor gefunden hätte. So ist endlich 
auch die Entstehung des neuen deutschen Bundesstaates eine 
geschichtliche Tat der deutschen Staaten, in erster Linie Preußens. 
Indem die Einzelstaaten vertragsmäßig die Bundesverfassung an- 
nahmen und sie als Landesverfassungsgesetz verkündeten, begrün- 
deten sie den Bundesstaat nicht, sondern erkannten das Eintreten 
seiner Wirksamkeit als auch vom Standpunkte des Landesrechts 
legitim an. Verträge und Landesgesetze waren also gar nicht 
konstitutiv, sondern nur deklaratorisch. 
Wo ist nun die Souvberänetät? 
Die Annahme einer geteilten Souveränetät im Sinne der 
älteren Bundesstaatstheorie ist unmöglich. Denn die Eigenschaft 
des Staates, höchste Macht zu sein, läßt sich nicht teilen. 
Die herrschende Ansicht (Hänel, Laband) beantwortet die Frage 
mit der Formel der sog. Kompetenz-Kompetenz. In jedem 
Bundesstaate muß nämlich eine der beiden staatlichen Organisationen 
ihre Zuständigkeit bestimmen präjudizierlich für die andere. Wer 
dieses Recht hat, eben diese Kompetenz-Kompetenz, besitzt die höchste 
Macht und ist souverän. Im deutschen Reiche soll die Kom- 
petenz-Kompetenz, da das Reich mit der ihm nach Art. 78 zustehen-
	        
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