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Herrenhaus und Abgeordnetenhaus in gemeinsamer Sitzung über
die Notwendigkeit der Regentschaft in Preußen beschließen und
mangels eines regierungsfähigen Agnaten den Regenten wählen,
tun sie das auch für das Reich, ohne daß Bundesrat und Reichs-
tag irgendwie mitzuwirken berufen wären. Ebenso ist die proviso-
rische Regentschaft des preußischen Staatsministeriums gleicherweise
auch eine solche für das Reich.
Auch eine Regierungsstellvertretung ist bisher gleichmäßig
für Preußen und das Reich begründet worden.
Das Kaisertum als das zuletzt begründete verfassungsmäßige
Organ hat sich nur allmählich Geltung verschaffen können. Mit
sehr schwachen Befugnissen ausgestattet und auf den Rückhalt des
preußischen Königtums angewiesen, war es anfangs kaum mehr
als eine Erweiterung des letzteren. Es war aber in dem Kaiser-
tume gleichzeitig das entwicklungsfähigste Organ des Reiches ent-
halten. In der Vertretung des Reiches nach außen, dem Kom-
mando über Heer und Flotte, der Stellung als verfassungsmäßiges
Haupt der Reichsverwaltung und der Vertretung der Reichsgewalt
gegenüber den reichsunmittelbaren Gebieten lagen die Keime für
eine umfassende monarchische Stellung. Ohne jede Anderung des
geschriebenen Textes der Reichsverfassung gewann daher das Kaiser-
tum durch das Reichsherkommen eine immer größere Bedeutung.
Es ist heute schon ein ganz anderes, als es 1871 war. Und von
der wahren Bedeutung des Kaisertums wird man schwerlich ein
zutreffendes Bild gewinnen, wenn man nur das in der Reichs-
verfassung niedergelegte geschriebene Recht liest. Die weitere Aus-
führung wird später zu erfolgen haben (vgl. §§ 42, 43, 45 ff.).
s 41. Der Keichstag.
In jedem Bundesstaate werden die beiden Elemente der
einzelstaatlichen Individualität und der nationalen Einheit ihre
Ausprägung suchen in eigenen verfassungsmäßigen Organen, so im
Senate und Repräsentantenhause der amerikanischen Union, Stände-
rate und Nationalrate der Schweiz. Im Deutschen Reiche ist der
Bundesrat die organische Verkörperung des einzelstaatlichen Ele-
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