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Wenn später der Zusammenhang der Geschlechter sich lockert,
die Gesellschaft übergeht in die ständische und staatsbürgerliche, ist
die Begründung eines neuen Staates regelmäßig eine bewußte
geschichtliche Tat. Das ist kein Rechtsakt, meist sogar eine
revolutionäre Durchbrechung der bestehenden Rechtsordnung. Wie
kein geschichtliches Ereignis sich wiederholt, so ist auch die Ent-
stehung jedes Staates, indem er eine Individualität für sich bildet,
eine besondere geschichtliche Tat. Eine solche ist aber nicht bloß
äußeres Geschehen, sondern eine Tat, die fortwirkt für die Folge
und eine stabilierte Machtordnung als Grundlage des Staates
begründet.
Und welches ist der Zweck des Staates?
Jede Auffassung, die den Staat auf einen einheitlichen Ent-
stehungsgrund zurückführt, wird ihm auch einen einheitlichen gleich-
mäßigen Zweck zuschreiben. Das gilt zunächst von der göttlichen
Stiftung. Hat Gott selbst den Staat begründet, so muß auch der
Zweck des Staates göttlicher Natur sein, er dient der Verwirk-
lichung des göttlichen Sittengesetzes auf Erden, ist Wahrer und
Rächer der zehn Gebote (Stahl). Mit der göttlichen Stiftung
fällt auch der überirdische Zweck Und andererseits nach der Lehre
des Naturrechts vom Vertragsstaate mußten die Menschen, indem
sie vertragsmäßig einen Staat begründeten, damit einen vernünftigen
Zweck verbunden haben. Diesen führte man zurück auf die allge-
meine Formel der Salus publiea. Gerade darin war die große
Mission des Naturrechts enthalten, daß es unter der Devise: Salus
publica suprema lex esto, das geschichtliche Recht stürzte.
Wenn man darauf verzichtet, dem Staate einen einheitlichen
Entstehungsgrund zuzuschreiben, kann man ihm auch keinen gleich-
mäßigen Zweck beimessen. Im Gegenteile zeigt der geschichtliche
Staat einen starken Wechsel der Erscheinungen.
Zunächst im Altertume. Dem Hellenen ist der Staat Selbst-
zweck, dem sich der einzelne unbedingt unterordnet. Das Indivi-
duum findet seine Stellung nur im Staate und durch diesen. Das
Römertum erkennt allerdings mit der patria potestas die Selbst-
ständigkeit des Privatrechts an, darüber hinaus waltet aber der
hellenische Staatsgedanke unbedingt, von dem man philosophisch
Bornhak, Grundriß des Staatsrechts. 3. Aufl. 16