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geschehen. Schon im Nomadenvolke ist das nicht mehr möglich,
sondern entsteht eine natürliche Überlegenheit des Herdenbesitzers
über den, der kein Vieh oder nicht genug für seinen oder der Seinigen
Unterhalt besitzt. Der Arme muß wie Jakob bei Laban um Lohn
dienen. Unabhängig davon bringt die Sklaverei der Kriegs—
gefangenen den Besitzenden neue Arbeitskräfte, die unfrei gegen
Unterhalt für andere die Arbeit zu verrichten haben. Wenn end—
lich das Nomadenvolk zum Ackerbau übergeht, steigern sich Be—
dürfnis wie Gelegenheit zur Verwendung fremder — freier, halb—
freier und unfreier — Arbeitskräfte. Wer selbst keinen Grund und
Boden hat erlangen können, ist geradezu auf die Arbeit in fremder
Wirtschaft angewiesen.
Die einfache bäuerliche Wirtschaft gleicher Volksgenossen mit
unfreien oder halbfreien Arbeitskräften macht aber allmählich, be—
günstigt durch Wanderungen und Eroberungen, der Ungleichheit
des Besitzes Platz. Es entstehen große Grundherrschaften mit
dem Bestreben, auch die Gemeinfreien in Abhängigkeit von sich zu
bringen. Handel und Gewerbe, die sich entwickeln und hinter die
Mauern der Städte zurückziehen, bieten allein noch der alten Ge-
meinfreiheit eine Stütze. Doch auch in den Handels= und Ge-
werbebetrieben entsteht der Gegensatz des selbständigen Unternehmers
und der für Erwerb ihres Lebensunterhaltes auf die Arbeit in
fremden Betrieben angewiesen Arbeiter.
Mit jeder höheren Kulturstufc wird der soziale Organis-
mus reicher ausgestaltet, aber auch verwickelter.
Grundbesitz, Handel und Gewerbe, in jedem von ihnen größere
und kleinere Betriebe, selbständige Unternehmer und unselbständige
Arbeiter treten in Gegensatz zu einander. Jede soziale Stellung
ist gegründet in sozialen Machtverhältnissen. Da solche unab-
hängig sind von der kurzen Dauer menschlichen Lebens, wird die
soziale Stellung tatsächlich erblich, und die Durchbrechung dieser
Erblichkeit ist nur wenigen Begünstigten möglich.
Das Lebensprinzip der Gesellschaft ist der menschliche
Egoismus.
Demgemäß sucht jede Klasse ihren Besitz und Erwerb zu er-
weitern und damit ihren Interessen zu dienen auf Kosten anderer