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Höchstbesteuerten gebildet, die das zweite Drittel der Gesamtsteuer-
summe aufbringen. Die dritte Klasse bilden endlich die zahlreichen
Personen, welche als niedrigst besteuerte das dritte Drittel auf-
bringen oder gar keine Steuer zahlen. Jede Klasse wählt trotz
der verschiedenen Anzahl ihrer Mitglieder die gleiche Anzahl von
Wahlmännern, und diese wählen den Abgeordneten. Der höheren
Steuerleistung wird damit auch ein entsprechend größeres Gewicht
der Wahlstimme gewährt.
Das Dreiklassensystem schließt niemanden schroff durch einen
Zensus aus. Doch gewährt es den Wählern dritter Klasse statt
eines wirklichen Wahlrechts nur ein Scheinrecht, da die Wähler
dritter Klasse niemals gegen die der beiden anderen etwas durch-
setzen können. Der Gedanke, durch Bildung durch. drei Klassen
elastisch den Verschiedenheiten der einzelnen Landesteile gerecht zu
werden, ist berechtigt. Doch übertragen auf die einzelnen Urwahl-
bezirke derselben Gemeinde, wirkt es seltsam, daß in einem wohl-
habenden Stadtteile Reichskanzler und Minister Wähler dritter
Klasse sind, anderswo bereits die unteren Schichten des Mittel-
standes in die zweite gelangen. Dazu kam neuerdings die Gefahr
plutokratischer Vorbildung, der man zum Teil durch Einrechnung
der Kommunalsteuern und Ansetzung fingierter Steuersätze von
3 Mk. entgegenzuwirken versucht hat. Die Miguelsche Steuer-
reform verfolgte das berechtigte sozialpolitische Ziel, die unteren
Schichten von Steuern zu entlasten, dahingegen die höheren ent-
sprechend stärker heranzuziehen. Das wirkte aber auf das Wahl-
recht zurück, indem die Zahl der Wähler erster und zweiter Klasse
immer geringer wurde, dagegen die der dritten Klasse immer größer.
Bismarck hat bei den übeln Erfahrungen, die er in der Konflikts-
zeit mit der liberalen Bourgeoisie gemacht hatte, das Dreiklassen-
system als das elendeste aller Wahlsysteme bezeichnet. Doch ist
der dem Dreiklassensysteme zugrunde liegende gesunde Gedanke in
der Ausführung verbesserungsfähig.
Außerhalb Preußens war in Deutschland das Dreiklassensystem
nur in Sachsen seit 1899 zeitweise in zum Teil verbesserter Form
an Stelle des bisherigen niedrigen Zensus eingeführt worden, um
die Sozialdemokraten aus der zweiten Kammer zu beseitigen.