134 Das Verfassungsrecht. § 22
gesetzliche Kraft beigelegt werden. Ebenso werden nach § 10 Einl.
A. L.-R. die Gesetze rechtlich verbindlich erst mit der Zeit ihrer Publi-
kation. Wie läßt sich die Tatsache, daß die Verbindlichkeit des Willens
des Königs als Gesetzgebers an diese Formen gebunden ist, mit der
anderen vereinigen, daß der Wille des Königs der an keine Formen
gebundene Staatswille ist?
Der zur Erklärung des Königtums innerhalb der gesetzlichen
Schranken herangezogene Ausspruch des alten englischen Juristen:
„rex debet esse sub lege, duia lex facit regeem"#), trifft jedenfalls das
Wesen des preußischen Königtums nicht. Kein außerhalb seiner
stehendes Gesetz hat das preußische Königtum geschaffen, sondern das
preußische Königtum und mit ihm der preußische Staat sind ent-
standen im Widerspruche mit dem bestehenden Reichs= und Landesrechte,
und innerhalb der neuen staatlichen Schöpfung erwuchs erst ein neues
Recht. Nicht das Gesetz machte den König, sondern der König das
Gesetz. Dieser dem englischen Rechtssprichworte entgegengesetzte Vor-
gang würde nicht das Gebundensein des Königtums an verfassungs-
mäßige Schranken, sondern im Gegenteile die schrankenlose Gewalt
des preußischen Königlums rechtfertigen.
Es ist einzig und allein der Wille des Königs, der für seine
Willenserklärungen gewisse Formen bestimmt und eine nicht in diesen
Formen abgegebene Willenserklärung gar nicht als solche angesehen
wissen will. Solche Formen für seine Willenserklärungen z. B. als
Gesetzgeber festzäustellen, ist der König zweifellos befugt. Er kann das
Erfordernis dieser Formen auch wieder ändern oder aufheben, aber
nur unter Beobachtung der einmal eingeführten Formen, da jede diesen
zuwiderlaufende Willenserklärung nichtig ist. Nach jenen vereinzelten
Vorgängen zur Zeit der absoluten Monarchic löst sich auch das Rätsel
des monarchischen Königlums innerhalb verfassungsmäßiger Schranken.
Der König auf Grund seines damals noch unbeschränkten Gesetzgebungs-
rechtes hat die Verfassungsurkunde erlassen. Er bindet sich damit in
der Ausübung seiner Regierung an gewisse Formen, bei der Gesetz-
gebung an die Mitwirkung beider Häuser des Landtages, bei der
Rechtsprechung an ihre Ausübung durch unabhängige Gerichte,
bei allen Regierungshandlungen an die Gegenzeichnung der Minister.
Diese Formen der Regierung sind aber gleichzeitig ihre Schranken,
5) H. Schulze, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 153.