Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

§*24 Ministerverantwortlichkeit des gegenwärtigen Rechtes. 147 
der Verfassungsurkunde überhaupt hinfällig geworden durch die neuere 
Entwicklung des Reichsrechtes. 
Nach Art. 61 der Verfassungsurkunde konnten die Minister durch 
Beschluß eines der beiden Häuser des Landtages wegen des Ver- 
brechens der Verfassungsverletzung, der Bestechung und des Verrats 
angeklagt werden. Ueber die Anklage sollte per oberste Gerichtshof 
2 Monarchie in vereinigten Senaten und, solange noch zwei oberste 
Gerichtshöfe bestanden, beide zusammen entscheiden. Einem besonderen 
Gesetze waren die Bestimmungen über die Fälle der Verantwortlichkeit, 
über das Verfahren und über die Strafen vorbehalten. Solange 
dieses Gesetz noch nicht ergangen ist, besteht nun nicht etwa eine 
Unverantwortlichkeit der Minister für Verfassungsverletzung, Bestechung 
und Verrat, da die Unverantwortlichkeit verfassungsmäßig keinem 
anderen Menschen als dem Könige eingeräumt ist. Vielmehr unter- 
liegen die Minister in jedem einzelnen Falle dem gemeinen Straf- 
rechte, bis dieses durch ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz für sie 
abgeändert wird. Wegen strafbarer Handlungen der Minister im Amte 
findet also dasselbe Strafverfahren statt wie gegen alle übrigen 
Beamten. 
Diese rechtlich unzweifelhaft bestehende Verantwortlichkeit war 
jedoch in Preußen tatsächlich bis 1879 nicht geltend zu machen, da 
die Erhebung der Anklage allein der Staatsanwaltschaft zustand, diese 
ledoch in jeder Beziehung den Weisungen des Ministeriums Folge 
öll leisten verpflichtet war. Ueberdies hatte, selbst wenn die Anklage 
erhoben war, auf Antrag der Verwaltungsbehörde eine besondere 
Kommission als Kompetenzgerichtshof über die Vorfrage zu entscheiden, 
ob eine zur Strafverfolgung geeignete Ueberschreitung der Amtobefug- 
nisse vorlage). Dagegen hat die deutsche Strafprozeßordnung § 152 
der Staatsanwaltschaft vorbehaltlich gesetzlicher Ausnahmen die Ver- 
pflichtung auferlegt, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren 
Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhalts- 
punkte vorliegen. Eine gesetzliche Ansnahme von diesem Grundsatze 
ist durch z 116 Str.-Pr.-O. uur gemacht worden für Beleidigungen 
und Körperverletzungen, wenn kein öffentliches Interesse vorliegt. Der 
Rechtsschutz wird aber in diesen Fällen gewährt durch die unbedingt 
9 60) Vgl. Verordnung vom 3. Januar 1819 — G.-S. 1849, S. 14 —, 
Sesetz vom 13. Februar 1854 — G.-S. 1864, S. 86. 
10“
	        
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