184 Das Verfassungsrecht. § 30
wenn die älteste Linie vollständig im Mannesstamme erloschen ist, kritt
der zweite Sohn und dessen Nachkommenschaft und nach deren Er-
löschen die dritte Linie ein. Verstirbt aber der Inhaber des Thrones
ohne männliche Nachkommen, so ist dasjenige Mitglied des königlichen
Hauses thronberechtigt, welches mit dem verstorbenen den nächsten
gemeinschaftlichen StammFpater hat. Unter mehreren hiernach Erb-
berechtigten entscheidet aber weder das Aller der Person (Seniorat)
noch die Nähe des Grades (Majorat), sondern allein das Alter der
Linie. Die Linealerbfolge wird auch hier unbedingt durchgeführt.
Hinterläßt also ein König einen Sohn seines vorverstorbenen zweiten
Bruders und einen dritten noch lebenden Bruder, so geht der Sohn
des vorverstorbenen zweiten Bruders als der älteren Linie angehörig
dem noch lebenden dritten Bruder vor. Dieser Fall trat in Preußen
ein beim Tode Friedrichs des Großen. Ihm folgte der Sohn seines
zweiten Bruders, des Prinzen von Preußen August Wilhelm, König
Friedrich Wilhelm II., unter Ausschließung des dritten Bruders
Friedrichs des Großen, des Prinzen Heinrichs).
Die Mitglieder des preußischen Königshauses stammen gegenwärtig
sämtlich von König Friedrich Wilhelm III. ab. Es bildet zunächst
drei Linien, die Hauptlinice König Wilhelms I. und die Linien des
Prinzen Karl und des Prinzen Albrecht. Die Hauptlinie zerfällt
ihrerseits wieder in die zwei Linien König Wilhelms II. und des
Prinzen Heinrich. Solange noch einer von den Nachkommen König
Wilhelms I. lebt, sind somit die Linien der Prinzen Karl und
Albrecht ausgeschlossen. Diese folgen aufeinander in der genannten
Reihenfolget).
Mit dem Aussterben aller dieser Linien würde die in der Ver-
fassungsurkunde vorgesehene ordentliche Thronfolge erschöpft sein, und
es würde sich fragen, ob abgesehen davon elwa anderen Personen
5) Die Rechtmäßjgkeit dieser reinen Linealerbfolge ist in Preußen
nie zweifelhaft gewesen, während bei anderen Fürstenhäusern in früheren
Jahrhunderten das reine Linealprinzip durch die Gradnalerbsolge durch
brochen wurde. Vgl. einige derartige Fälle, wo der dritte Bruder dem
Sohne des vorverstorbenen zweiten Bruders vorging, aus dem Hause
Sachsen von 1370 und aus dem Hause Pfalz von 1544 bei H. Schulze,
Recht der Erstgeburt, S. 387.
4) Das preußische Königshaus ist demnach unter Weglassung der
bereits ausgestorbenen Linien, indem die lebenden Mitglieder durch
den Druck hervorgehoben sind, in folgender Weise darzustellen: