L Die außerordentliche Thronfolge. 189
Aber auch abgesehen davon hat die Erbverbrüderung keinen Anspruch
auf Rechtswirksamkeit mehr, da die Verfassungsurkunde sie nicht er-
wähnt. Zwar ist die Verfassungsurkunde keine umfassende Kodi-
sikation des preußischen Staatsrechtes, das bisherige öffentliche Recht
ist also bestehen geblieben, soweit die Verfassungsurkunde es nicht
abgeändert hat. In welcher Weise die Krone von einem Inhaber
auf den anderen übergehen soll, ist aber in Art. 53 der Verfassungs—
urkunde bestimmt. Dieser kennt nur die ordentliche, nicht aber die
außerordentliche Thronfolge, eine solche kann also schon aus diesem
Grunde seit Erlaß der Verfassungsurkunde nicht mehr anerkannt
werden.
Ebensowenig als ältere Erbverbrüderungen für Preußen Anspruch
auf Gültigkeit haben, könnten gegenwärtig neue geschlossen werden,
da die Verfassungsurkunde diesen Sukzessionstitel nicht kennt. Die
Auffassung, wonach auch neue Erbverbrüderungen gültig sein sollen,
ledoch nur unter Zustimmung des Landtages in den Formen der
Verfassungsänderung'), kommt im Grunde genommen auf dasselbe
hinaus, macht sich jedoch einer juristischen Unklarheit schuldig. Würde
eine neue Erbverbrüderung abgeschlossen und dementsprechend die Ver-
sassungsurkunde abgeändert werden, so würde der Sukzessionstitel für
das erbverbrüderte Haus nicht die Erbverbrüderung, sondern das
preußische Verfassungsgesetz sein, während die Erbverbrüderung ledig-
lich Beweggrund für Erlaß dieses Gesetzes wäre.
Die Ungültigkeit der Erbverbrüderungen vom Standpunkte des
heutigen preußischen Staatsrechtes steht dagegen der fortdauernden
Gültigreit einseitiger Sukzessionsverträge nicht im Wege, durch welche
dem preußischen Königshause ein Thronfolgerecht in andere Länder
eingeräumt wird, ohne daß jedoch die Herrscherhäuser dieser Länder
eiin eventuelles Sukzessionsrecht auf preußisches Staatsgebiet hätten.
on dieser Art war das nunmehr durch antecipierte Erbfolge erfüllte
Vertragsverhältnis des königlichen Hauses zu den fürstlichen Häusern
Hohenzollern auf Grund der Verträge von 1695 und 1707. Noch
letzt steht in Geltung der Wittstocker Vertrag vom 12. April 1442-),
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7) v. Rönne-Zorn, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 225; H. Schulze,
Kr. St.-N., Bd. 1, S. 100.
8) Abgedruckt bei H. Schulze, Hausgesetze, Bd. 2, S. 208. Er
h am Montag vor St. Margarethen 1442 von Friedrich III. die
kaiserliche Bestätigung erhalten und ist in den Jahren 1693, 1708, 1717