Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

192 Das Verfassungsrecht. 
SF. 
lich zu halten und in Uebereinstimmung mit ihr und den Gesetzen 
zu regieren:). Die Frage, welche Rechtsfolgen sich an die Nicht- 
beobachtung dieser Vorschrift knüpfen, beantwortel sich danach, welchen 
juristischen Charakter man der Eidesleistung beilegt. Der König hat 
seine Herrschaft ausznüben innerhalb der gesetzlichen Schranken. Ueber- 
schreitet er diese, so vertritt er nicht den wahren Staatswillen, er 
handelt gar nicht als König, sondern als Privatmann, und nur seine 
persönliche Unverletzlichkeit, die er nicht nur als König, sondern Uun- 
bedingt genießt, schützt ihn davor, als Privatmann zur Verantwortung 
gezogen zu werden. Diese Verpflichlung, innerhalb der gesetzlichen 
Schranken zu regieren, d. h. den wahren Staatswillen zu vertreien 
und seine Stellung nicht zu Privathandlungen zu mißbrauchen, liegt 
dem Könige von seinem Regierungsantrille an ob, ohne daß er 
sic erst in der Form einer seierlichen Eidesleistung zu übernehmen 
brauchte. Die Eidesleistung begründet also leinerlei Verpflichtung, 
sondern bildet nur eine moralische Gewähr für die gesetzmäßige Re- 
gierung des Königs. Leistel also der König den Eid nicht, so wären 
seine Verpflichtungen in bezug auf die Regierung genau dieselben, 
als wenn er den Eid geleistel hätte. Die Eidesleistung ist eine für 
die staatsrechtlichen Pflichten des Königs gleichgültige Handlung. 
Es könnte sich nur fragen, was zu geschehen hal, wenn der 
König den Eid nicht leistel und damit die von der Verfassung gesor- 
derte moralische Gewähr für seine Absichten einer gesetzmäßigen 
Regierung nicht darbietet. Nach dem Vorbilde der belgischen Ver- 
sassungsurkunde Art. 80, Abs. 2 und 3½35) haben auch einige deutsche 
Verfassungsurkunden") die Ausübung von Regierungshandlungen von 
der vorherigen Eidesleistung abhängig gemacht und damit einen mittel- 
baren Zwang zur Eidesleistung auf den Herrscher ausgeübt. Der 
Kommissionsentwurf der preußischen Nationalversammlung Art. 39 
wollte sich dem belgischen Vorbilde ebenfalls anschließen, indem er 
2) Ueber diesen Eid siehe noch besonders v. PRönne-Zorn, Pr. 
St.-R., Bd. l, S. 226 ff. 
1) „II (d. h. der König) ne prend possession du tröne qu'après avoir 
Ssollencliement prété, dans le scin des chambres réunies, le serment suivam: 
Je jure 'observer la constitution ct les lois du peuple belpe, de maintenir 
I’indépendancc nalionalc et I’intégrité du territoire.“ 
4) Die koburg-gothaische vom 3. Mai 1852 § 159 und die olden- 
burgische vom 22. November 1852, Art. 197 8 3.
	        
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