Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

204 Das Verfassungsrecht. §l 35 
8 35. Wesen der Regentschaft. 
Das mittelalterliche Staatsrecht und das der meisten deutschen 
Staaten bis in die neueste Zeit lag noch überall mit dem Privat- 
rechte im Gemenge. Wie der Staat, die Herrschaft über Land und 
Leute, den patrimonialen Charakter eines ererbten Familiengutes nur 
langsam und schwer abstreifen konnte, so war auch die staatsrechtliche 
und privatrechtliche Vertretung des regierungsunfähigen Landesherrn 
ein einheitliches Rechtsinstitut, das vorwiegend nach den Grundsätzen 
des Privatrechtes sich bestimmte. Noch jetzt sind die an die privat- 
rechtlichen Gesichtspunkte erinnernden Bezeichnungen eines Regierungs- 
vormundes oder einer vormundschaftlichen Regierung schwer auszu- 
rotten. Diese Regierungsvormundschaft bildete nur einen Teil des 
zwischen Staats= und Privatrecht hin und her schwankenden, aber 
doch vorzugsweise dem letzteren sich zuneigenden deutschen Privatfürsten- 
rechtes. Der rechtliche Inhalt der Regierungsvormundschaft war die 
Sorge für das ererbte Familiengut, d. h. Land und Leute. 
Für die kurfürstlichen Lande hatte diese Regierungsvormundschaft 
eine reichsgesetzliche Regelung erfahren durch die Goldene Bulle von 
1356, welche unter Hervorhebung der am häufigsten vorkommenden 
Fälle dem nächsten Agnaten die Vormundschaft und Verwaltung über- 
trugt). In Uebereinstimmung damit sollten nach der Achillea von 
1473, wenn ein Sohn des Kurfürsten uumündige Kinder hinterließ, 
die Brüder dieses Sohnes als Vormünder für das Land und den 
Besitz der Kinder sorgene). Diese ihrem Wesen nach durchaus privat- 
rechtlichen Bestimmungen blieben in Preußen, wo die Bedürfnisse des 
1) Aurca Bulla cap. VII, § 4: „Si principem elcctorem scu ejus primo-- 
genitum aut filium seniorem laicum mori ci heredes masculo legitimos, 
laicos, defeclum actatis patientes, relinquere contingeretl; tunc frater senior 
juschem primogeniti tutor corum et administrator existat, donec senior cs 
his legitimam aetatem attigerit cic.“ 
2) „Auch orden, setzen, meynen und wöllen wir, ob der obge- 
nanten unnser werntlichen Sön einer stürbe und unmündig kinder, das 
allein Söne, oder Söne und töchter wern, hinder Im verlassen würde, 
so söllen der oder die andern sein werntliche brüder derselben kinder 
vormünder sein, doch söllen sie in des verstorben bruders teil landes, das 
denselben gelassen kinden zustet, Rete ordnen und setzen, die mit dem 
Irn umbgenn und getreulich handeln.“ Vgl. H. Schulze, Haus- 
gesetze, Bd. 3, S. 685.
	        
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