g 865 Wesen der Regentschaft. 205
Großstaates sonst zu einer stärkeren Hervorkehrung der staatlichen
Gesichtspunkte nötigten, bis in die neueste Zeit bestehen, so daß das.
Regentschaftsrecht als Regierungsvormundschaft einen Teil des fürst-
lichen Familienrechtes bildete. Es mochte zur Aufrechterhaltung dieser
unhaltbaren Zustände die Tatsache beitragen, daß sich seit Jahr-
hunderten in dem brandenburgischen Herrscherhause die Notwendigkeit
einer Regentschaft nicht herausgestellt hatte. Somit konnte sich glück-
licherweise die Unzulänglichkeit der familienrechtlichen Bestimmungen
bei der tatsächlichen Durchführung nicht ergeben. Erst die Verfassungs-
urkunde hat das Recht der Regentschaft von dem Privatfürstenrechte
losgelöst und jenes im staatlichen Sinne geregelt und zwar kurz bevor
durch die Krankheit König Friedrich Wilhelms IV. zum ersten Male
in Preußen die Einsetzung einer Regentschaft erforderlich wurde. Das
Recht der Regentschaft ist also ohne Rücksicht auf die frühere ge-
schichtliche Entwicklung lediglich aus den Bestimmungen der Ver-
fassungsurkunde zu entwickeln.
Aus dem Begriffe der Staatspersönlichkeit folgt, daß in dem
monarchischen Staate stets ein Herrscher vorhanden sein muß, welcher
alle Rechte der Staatsgewalt in sich vereinigt. Die über die Spanne
eines menschlichen Lebens hinausgehende Person des Staates setzt sich
daher mit dem Augenblicke des Todes des zeitigen Herrschers in der
Person seines Nachfolgers fort. Es gibt also keinen Zeitabschnitt, in
dem die in der natürlichen Person des Herrschers lebende Person des
Staates nicht vorhanden wäre. Der Begriff des Staates als einer
Herrschaft über Land und Leute erfordert aber eine fortgesetzte Tätig-
keit. Ebensowenig wie das monarchische Herrscherrecht kann die Aus-
UÜbung dieses Herrscherrechtes, die monarchische Herrschertätigkeit, je
eine Unterbrechung erfahren. Da aber das Herrscherrecht einem
Menschen zufallen kann, dem die Herrschertätigkeit durch Alter oder
Gesundheit unmöglich ist, so muß in diesem Falle für die Ausübung
der Herrschaft gesorgt werden. Ebenso unmittelbar wie das Thron-
folgerecht die Herrschaft des neuen Königs an die des früheren Königs
anknüpft, muß auch die Herrschertätigkeit des einen Menschen un-
mittelbar die des anderen fortsetzens). Dies geschieht durch das
Rechtsinstitut der Regentschaft.
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3) Insofern bezeichnet Gerber a. a. O. die Regentschaft mit
Recht als eine unvollkommene Art der Thronfolge.