Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

212 Das Verfassungsrecht. g 36 
eintretenden nachfolgenden Agnaten regierungsfähig wird, ein Recht 
auf die bereits bestehende Regentschaft hat. Diese Frage ist zu ver— 
neinen. Der gegen die Bejahung der Frage geltend gemachte Grund, 
daß die für den Erwerb eines Rechtes bestehenden Voraussetzungen 
keineswegs selbstverständlich immer auch fortdanernde Bedingungen 
seiner Innehabung sind, ist zutreffend. Wenn man aber andererseits 
auführt, daß mit dem Wesen der Staatsoberhauplschaft schwerlich ein 
Satz vereinbar sei, der ihren gar zu hänfigen Wechsel bedinge"), so 
ist dies ein Zweckmäßigkeitsgrund, der vielleicht für den Gesetzgeber, 
aber nicht für die Anwendung des positiven Rechtes maßgebend sein 
kann. Die Person des Regenten ist bezeichnet durch das Gesetz. Dieses 
beruft aber zur Uebernahme der Regentschaft bei Regierungsunfähig- 
keit des Königs den nächsten regierungsfähigen Agnaten. Hiermit 
kann nur derjenige gemeint sein, welcher zur Zeit des Eintritts der 
Notwendigkeit der Regentschaft der nächste regierungsfähige Agnat ist. 
Wollte man annehmen, daß er nur solange Regent sei, als er wirk- 
lich dem Throne am nächsten stehe, so würde hierin eine zeitliche 
Beschränkung seines Regentschaftsrechtes liegen. Beschränkungen von 
Rechten sind aber nicht zu vermuten, sondern bedürsen einer aue- 
drücklichen gesetzlichen Bestimmung. Da eine solche sehlt, so ist nicht 
anzunehmen, daß der zur Zeit des Eintritts der Notwendigkeit der 
Regentschaft nächste regierungsfähige Agnat die Regentschaft verliert, 
wenn er während ihrer Dauer aufhören sollte, der nächste regie- 
rungsfähige Agnat zu sein. Anders wäre die Sache natürlich, wenn 
nach Wegfall des Grundes für die Regentschaft und deren Aufhören 
sich wiederum die Nolwendigkeit der Regentschaft ergeben sollte. Hier 
läge keine Fortsetzung der alten Regentschaft, sondern der Eintritt 
einer neuen vor, und auf diese hätte der unnumehr nächste regierungs- 
sähige Agnat ein ausschließliches Recht. 
Falls kein regierungsfähiger Agnat vorhanden ist, und nichl 
bereits vorher gesetzliche Fürsorge für diesen Fall getroffen ist, hat 
das Staatsministerium die beiden Häuser des Landtages zu berufen, 
welche in vereinigter Sitzung einen Regenten erwählen. Bis zu 
dessen Antritt der Regentschaft führt das Staatsministerium die 
Regierung,5). 
4) So v. Gerber a. a. O. 
5) Art. 57 V.-U.
	        
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