Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

216 Das Verfassungsrecht. g 36 
zelnen Falle dem Könige eine frühere Volljährigkeit beilegen wollten, 
so läge hierin eine Verfassungsänderung. Eine solche kann aber nie 
durch den Landtag allein, sondern nur durch Uebereinstimmung des— 
selben und des Königs bzw. seines Vertreters, des Regenten, erfolgen. 
Der Beschluß des Landtages wäre also gesetzwidrig und deshalb nichtig. 
Die Regentschaft müßte trotz des Beschlusses bestehen bleiben, bis der 
Landtag einen verfassungsmäßigen Beschluß faßt. Erkennt man dies 
als richtig an, so ist es zweifellos, daß auch in anderen Fällen, in 
denen der Landtag die Anerkennung der Regentschaft gegen das klare 
Recht verweigert, der Beschluß als nichtig zu behandeln ist. Wann 
ein solcher Fall vorliegt, ist aber Tatfrage und entzieht sich deshalb 
der weiteren Erörterung. 
Nach Einrichtung der Regentschaft soll der Regent vor den ver- 
einigten Hänsern des Landtages einen Eid schwören, die Verfassung 
des Königreiches fest und unverbrüchlich zu halten und in Ueberein- 
stimmung mit derselben und den Gesetzen zu regierentt). Hinsichtlich 
der Folgen der Nichtleistung des Eides seitens des Regenten wird 
allgemein angenommen, daß der Regent damit auf die Regentschaft 
Verzicht leisteis). 
Da der Regent alle Regierungsrechte des Herrschers ausübt, für 
den Herrscher aber die Führung der Regierung innerhalb der ver- 
fassungsmäßigen Schranken eine selbstverständliche Verpflichtung bildet, 
die keiner eidlichen Bekräftigung bedarf, so begründet auch die Eides- 
leistung des Regenten für diesen keinerlei neue Verpflichtung. Rechts- 
wirkungen könnten sich an die Nichtleistung des Eides nur knüpfen 
infolge einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung. Während eine 
solche bei Nichtleistung des Eides seitens des Herrschers nicht ge- 
troffen ist, versucht Art. 58 Abs. 2 der Verfassungsurkunde eine solche 
durch die Anordnung, daß bis zu dieser Eidesleistung in jedem Falle 
das bestehende gesamte Staatsministerium für alle Regierungshand- 
lungen verantwortlich bleibt. 
Ueber die Bedeutung dieser Bestimmung scheint sich der Gesetz- 
geber selbst nicht klar gewesen zu sein. Die belgische Verfassung, welche 
11) Art. 58 Abs. 1 V.-U. 
12) v. Rönne-Zorn, Pr. St.--R., Bd. 1, S. 238; H. Schulze, 
Pr. St.-R., Bd. 1, S. 212; v. Stengel, Pr. St.-R., S. 43; Hu- 
brich, Pr. St.--R., S. 204.
	        
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