Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

224 Das Verfassungsrecht. 8 38 
der Auslbung nach sein Regierungsvorgänger war. Alle Ansichten, 
welche einen anderen Standpunkt einnehmen, insbesondere dem Herr— 
scher gegenüber den Handlungen des Regenten eine Art Wiederein- 
setzung in den vorigen Stand gewähren wollen, verfallen in die 
überwundene privatrechtliche Auffassung der Regentschaft als einer 
Vormundschaft. 
§ 38. Die Regierungsstellvertretungt). 
Es gibt zwei verschiedene Grade von Hinderungsgründen, welche 
den König abhalten können, die Regierungsgeschäfte selbst zu ver- 
sehen. Der eine war die „dauernde“ Verhinderung, wie es die Ver- 
sassungsurkunde ausdrückt, d. h. die absolute slaatsrechtliche Hand- 
lungsunfähigkeit. Sie macht es dem Könige rechtlich unmöglich, irgend 
eine Regierungshandlung vorzunehmen, und erfordert die Einsetzung 
einer Regentschaft. Der König kann aber auch, ohne absolut hand- 
lungsunfähig zu sein, sich tatsächlich außerstande befinden, die Re- 
gierungsgeschäfte in dem ihm obliegenden Umfange zu versehen. Hier 
bedarf der König einer Vertretung. Wie trotz des scheinbar wider- 
sprechenden Wortlautes der Verfassungsurkunde nicht die Zeitdauer 
der Behinderung, sondern ihr Grad als Grund für die Regentschaft 
angesehen werden mußte, so kann auch für die Stellvertretung, welche 
von der Verfassungsurkunde zwar nicht behandelt wird, über deren 
Zulässigkeit jedoch nach festem, in zahlreichen Präzedenzfällen aus- 
geprägtem Gewohnheitsrechte kein Zweifel obwaltet?), nicht die Dauer 
der Behinderung, sondern nur deren Intensivität entscheiden. Ein 
Krankheitsfall, der vielleicht nur wenige Tage dauert und von dem 
—! — —— — — 
1) Vgl. außer den an der Spitze des Kapitels angeführten Schriften 
noch Mittnacht in der deutschen Vierteljahrsschrift von 1864, 2. Heft, 
S. 222 ff.; v. Martists, Artikel Regierungsstellvertretung in v. LHolten- 
dorffs Rechtslexikon. 
2) Allein v. Rönne, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 187, erachtet trotz 
der entgegenstehenden Praxis die Stellvertretung für unzulässig, da der 
König, der unverantwortliche Faktor der Regierung, niemanden mit 
seiner Unverantwortlichkeit bekleiden dürfe. Die v. Rönnesche Ansicht 
fällt aber zusammen, wenn man, wie hier geschieht, die Stel- 
lung des Stellvertreters gar nicht als unverantwortliche auffaßt, sondern 
den Stellvertreter als Organ des Königs betrachtet. Die Rönnesche 
Ansicht an sich billigend, aber einschränkend v. Rönne-Zorn, Pr. 
St.-R., Bd. 1, S. 242.
	        
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