226 Das Verfassungsrecht. 8 38
Der König kann dem Vertreter als dem bloßen Organe seiner
königlichen Regierung einen einzelnen Regierungsakt, einen bestimmten
Kreis davon oder alle Regierungsgeschäfte übertragen. Nur den
letzteren Fall bezeichnet man meist als Regierungsstellvertretung und
stellt sie in Parallele mit der Regentschaft. Das Rechtsverhältnis ist
aber, abgesehen von dem Umfange der Befugnisse, genau dasselbe,
wenn dem Vertreter die Vornahme nur einer einzigen Regierungs-
handlung anbesohlen wird. Auch der Prinz, welcher in einer enl-
sernten Provinz wegen Unwohlseins des Königs die Manöver und
Paraden abzunehmen hat, ist Stellvertreter des Königs.
Der König kann den Umfang der Regierungsbefugnisse seines
Vertreters nicht nur sachlich, sondern auch zeitlich nach Belieben
bestimmen. Er kann die Vertretung auf unbestimmte Zeit übertragen,
dann erlischt sie, sobald der König erklärt, die betreffenden Regie-
rungshandlungen wieder selbst übernehmen zu wollen. Der König kann
aber auch die Vertretung für einen bestimmten Zeitraum, z. B. drei
Monate, anordnen. Diese Befristung hat die Rechtswirkung, daß nach
Ablauf der Frist die Vertretungsbefugnis des Vertreters von selbst
erlischt, sofern die Frist nicht verlängert wird. Dagegen hat der
König für die betreffende Zeitfrist nicht auf die Regierung verzichtet.
Er kann daher auch vor Ablauf der Frist die betreffenden Regie-
rungshandlungen wieder selbst übernehmen.
Der Vertreter hat kein eigenes Recht auf die Vertretung. Der
König ist also bei der Wahl der Person des Vertreters an kein
anderes Erfordernis als an das der staatsrechtlichen Handlungsfähigkeit
desselben gebunden. Er ist nicht verpflichtet, den Thronfolger oder
den nächsten zur Regentschaft berechtigten Agnaten zum Vertreter
zu bestellen. Wenn in dem Erlasse vom 17. November 1887, auf
den später zurüclzukommen sein wird, dem Prinzen Wilhelm die
Stellvertretung unter Hinweis auf die fortdauernde Krankheit und
Abwesenheit des Kronprinzen übertragen wurde, so lag in der Er-
wähnung dieses Umstandes keine juristische, sondern nur eine politische
Rechtfertigung.
Der Stellvertreter ist also ein vom Könige kraft seiner Regierungs-
gewalt bestelltes Organ zur Ausübung der Regierung. Nach Umfang
und Art der ihm übertragenen Tätigkeit mag er sich von anderen
Organen der königlichen Regierung unterscheiden, sein Rechtsverhältnis