Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

256 Das Verfassungsrecht. 8 42 
angehörigkeit eine besondere Treuepflicht der Untertanen nicht abge— 
leitet werden. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, daß diese 
Treuepflicht nicht vorhanden wäre, ja nicht vorhanden sein müßte. 
Die Treue ist jedoch ein ethischer und kein juristischer Begriffe). Man 
kann sie auch nicht negativ gestalten als Rechtspflicht zur Unterlassung 
von Handlungen, welche auf die Beschädigung des Staates abzielem). 
Rechtlich sind Hochverrat und Landesverrat verboten, nicht weil sie 
mit dem Wesen der Staatsangehörigkeit im Widerspruche stehen, sondern 
weil der Staat sie im Interesse seines Bestandes und seiner Sicherheit 
mit Strafe bedroht. Mit demselben Rechte wie die Treuepflicht könnte 
man eine Pflicht zur Achtung fremden Eigentums, zur Nichtverletzung 
anderer Personen aufstellen, also einen Rundgang durch das ganze 
Strafrecht unternehmen. Die Verpflichtung der Untertanen, den vom 
Staate erlassenen Strafgesetzen nicht zuwider zu handeln, ergibt sich 
schon ohne weiteres aus dem Rechtszustande der Untertänigkeit und 
der allumfassenden Gehorsamspflicht. 
Zur Bezeichnung des Wesens dieses Verhältnisses ist daher „Unter- 
tan“ das bezeichnendste Wort. Wenn man dieses Wort zu vermeiden 
gesucht hat, da es an die Erbuntertänigkeit erinnerte, so liegt hierin 
einerseits eine Verkennung ihres Charakters, da die Gutsherrlichkeit 
oein Ausfluß der Staatsgewalt war und deshalb ein Unterlänigkeils-= 
verhältuis begründete. Aber auch wenn man die Untertänigkeit unter 
eine gutsherrliche Gewalt als dem modernen Staatsbegriffe wider- 
sprechend verwirft, so besteht doch ein ganz unverkennbarer Unler- 
schied zwischen der Untertänigkeit unter einen einzelnen Gutsherren 
und derjenigen unter die Staatsgewalt. Der Abgecordnete von Vincke 
stellte daher in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 7. März 
18614) die zutreffende Behauptung auf, „daß man bei dem Streite 
über den Gebrauch der Worte „Untertan“ oder „Staatsbürger“ den 
Begriff „Untertan“ mit dem verwechsele, was das A. L.-R. unter 
„Erbuntertänigleit“ verstand, während wir doch so weit in der 
Nomenllatur vorgedrungen sein sollten, daß wir im Einklange mit 
2) Gegen die Annahme einer Treuepflicht auch GVM. Meyer §224 
N. 1 und Ehrenberg in der deutschen Rundschau X, HPest 7, S. D1. 
Die herrschende Ansicht ist sonst ziemlich allgemein für die Ausstellung 
der Treueverpflichtung. 
S5) So Laband, St.-R. des Deutschen Reiches, Bd. 1, S. 130. 
4) Sten. Ber. 1861, Bd. 1, S. 382.
	        
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